Altmodische weiße Steckdosen- und Schalterkombination an rosa gefliester Wand, Schalter für Rasierapparat mit Beschriftung in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch

Wenn man als Reisender – wie ich dieser Tage – aus dem harten Berliner Wedding nach Zürich kommt, erfährt man Mondänität, Opulenz und eidgenössische Besonderheit.

Das fängt schon beim Stadtnamen an. Überall in der deutschen Sprachwelt werden Suffixe an den Städtenamen angehangen, wie Berliner und Stuttgarter. In Zürich dagegen kocht man sich ein helvetisches Sprachsüppchen: Hier wird das i entnommen und das Anhängsel drangehängt: Zürcher Geschnetzeltes, Zürcher Tram, und die städtischen Insassen sind der Zürcher und die Zürcherin. Der Buchstaben ß ist schon gleich grundsätzlich nicht vorhanden im helvetischen Alphabet.

Weiter geht es beim Zürcher Hauptbahnhof, wo der oberirdische Kopfbahnhof am Kopf eine veritable Bahnhofshalle hat, jedoch im Gleisbereich nur ein Dach und die Seiten offen sind. Man wartet mit dem Auto auf der Straße an einer vermeintlichen Industrieanlage auf die nächste Grünphase – und schwupps fährt neben einem der funkelnde Zug in den Bahnhof ein. Natürlich mit Schweizer Pünktlichkeit.

Die anliegende Zürcher Bahnhofstrasse ist belebt wie andere Bahnhofstraßen dieser Welt auch, nur gibt es in der Zürcher Bahnhofstrasse keine einfachen Boutiquen und schreiende Billigläden, sondern nur feine Geschäfte. Hier möchte man noch kurz vor der Abfahrt dem Onkel eine Omega-Uhr als Kleinigkeit mitbringen, oder nach Ankunft schnell noch ein Burberry-Hemd für das Dinner erwerben, da man in der morgendlichen Eile vergaß, es in den Rimowa-Koffer zu werfen.

In Zürich passt einfach alles zusammen: Grossmünster und Sommerhimmel

Unter schattenspendenden Bäumen flaniert man diese Bahnhofstrasse am Paradeplatz vorbei Richtung Zürcher See, und da trifft der zugereiste Betrachter auch auf die Gediegenheit und Opulenz der Schweizer Natur. Wenn ihm ob des faszinierenden Panoramas der Mund offen steht und er mit Ehrfurcht vor der sich ihm darbietenden Schönheit aus strahlendem See, hohen Bergen und schicken Villen staunt, ist er ist entlarvt als gemeiner Besucher, der dann auch noch ausruft: Ah, der Züricher See ist ja schön! Der Zürcher und die Zürcherin wenden sich mit Grausen ab. Ihnen ist dieser Anblick von Gott gegeben. Jeden Tag könnten sie ihm Rechnung tragen, müsste man sich nicht um die Auswärtigen kümmern, und ihnen wohlfeil hochwertige Uhren, Schokolade und Kleidung anbieten, die ihnen den Zürichbesuch unvergessen machen.

Unsere AirBnB-Wohnung hat noch nicht ganz die Opulenz und Mondänität der heutigen Zürcher Tage. Sie ist, darf man dem Fahrstuhlschild glauben, von 1962 und in einem vierstöckigen Haus gelegen. Es handelt sich um ein kleines Ein-Zimmer-Apartment. Damals wußte die Schweiz bereits, dass sie reich ist, war aber am überlegen, wie man dies der Bevölkerung mitteilen sollte, und wie man diese auch gegebenenfalls daran beteiligen könnte.

Erstmal mussten für die in den Städten benötigten Arbeitskräfte, die man aus der Landwirtschaft zu gewinnen suchte, Wohnraum geschaffen werden, um neben den guten Löhnen weitere Verlockungen zu schaffen. Unser Apartment zielte wohl auf die zukünftige Stenotypistin oder das Fräulein vom Telegrafenamt, denn das kleine Bad ist in einem zarten Rosa gefliest, das 1962 wohl das Herz einer jeden modernen jungen Frau höher schlagen ließ.

Ein Traum in Rosa: das Zücher Bad von 1962

Andererseits wäre damals wohl jeder Zweitgeborene oder Knecht vom Dorf rückwärts wieder aus der kleinen Hutschachtel von Wohnung gestolpert, hätte man ihn diese angeboten. Schon der nicht einmal 1qm große Fahrstuhl hätte bei ihm die Frage aufgeworfen: Was soll mit dem transportiert werden? Und dann noch das rosa Bad und die Miniaturküche mit ihren ebenfalls nur 2 qm Fläche. Nach einem harten Fabriktag und lang durchzechten Nächten im Wirtshaus hätte ein männlicher Bewohner mit einer Drehung alles von der Arbeitsfläche gefegt, oder sich über dem Küchenwaschbecken mit dem Kopf am Küchenschrank gestoßen.

Vorsicht beim Umdrehen: die praktische Küche von 1962

Die moderne junge Frau dagegen hätte in dieser kleinen, aber praktischen Küche feine Speisen zubereitet, aus den aus Pressspan zusammengezimmerten Schränken, welche mit etwas beschichtet sind, was wir Ostdeutschen Sprelacart nannten, Geschirr entnommen und die Speisen in die Durchreiche gestellt. Dann wäre sie stilvoll aus der sich direkt neben der Durchreiche befindlichen Küchentür getreten, und hätte dann die Teller aus der Durchreiche elegant auf den Tisch drapiert.

Ausgeträumt: heute wird nur noch das Fernsehkabel durchgereicht

Nach dem Abendessen hätte sich die junge Frau über die neuesten Entwicklungen im Stenotypistinnenuniversum kundig gemacht und darauf gewartet, dass sie vom Bürovorsteher oder dem angehenden Ingenieur, der ihr im Lebensmittelladen schon zweimal die Tür aufgehalten hat, weggeheiratet wird aus diesem Fräulein-Paradies. Für diesen Fall könnte dann ihre Freundin Luise aus dem Nachbardorf die Wohnung und ihre Arbeit haben. Sie hatte ihr schon in schillerndsten Farben das Rosa der Badekacheln und das glänzende Chromstahl des Abwaschbeckens beschrieben. Sollte aber unserer modernen jungen Frau das Glück nicht ganz so hold, der Bürovorsteher nämlich verheiratet gewesen sein, obwohl er einige Male bei ihr im Apartment genächtigt hatte, ohne dass sie von seinem Zivilstand erfuhr, so dürfte sie hier wohl länger geblieben sein, bevor sie sich vielleicht sagte, dass rosa Kacheln auch nicht alles im Leben sind, und ihr Glück anderswo fand.

Jetzt hat es sich jedenfalls ausgeträumt. Die Zeit der Verlockungen mit kleinen Dingen ist vorbei. Die Wohnung ist zur Zwischennutzung für AirBnB-Gäste wie uns verfügbar, aber demnächst wird gebaut oder sogar abgerissen. Für die Eidgenossen normal, für den Dahergereisten arg verwunderlich, stehen lange Stangen neben dem Haus, die über das Dach hinausreichen, und welche den umliegenden Anwohnern die künftigen Umrisse des Erweiterungs- oder Neubaus zeigen sollen. Vielleicht ist nun der Blick auf den See versperrt, oder der Nachbarpool liegt dann im Schatten, und der betroffene Anwohner kann vor Baubeginn Einspruch dagegen erheben. Die Zeit der rosa Fliesen, Pressspanküchenschränke und Minifahrstühlen ist abgelaufen. Zumindest nach Schweizer Uhrzeit.

Song des Tages: Was kann schöner sein von Lys Assia

Diese deutschsprachige Version von „Que sera“ der Schweizer Schlagersängerin Lys Assia stammt bereits von 1953, aber sie bringt den Groove der rosa Kacheln auch zehn Jahre später perfekt zum Klingen.

Von Herr_Bert