Brad Pitt als Stuntman Cliff Booth bringt im Cadillac Coupé DeVille seinen Chef und Freund Rich Dalton alias Leonardo di Caprio zum Filmstudio und kehrt dann in den Benedict Canyon zurück, um das Dach des Hauses seines Chefs zu reparieren. So gesehen im Film „Once upon a time in Hollywood“.

Ein paar Täler weiter in Los Angeles, im Laurel Canyon, sind damals junge Musiker seit einer Weile dabei, Rockgeschichte zu schreiben. Nur wissen sie es zu jener Zeit noch nicht. Sie sind in die kleinen, oft noch aus den 1930er und 40er Jahren stammenden Häuser gezogen, weil die billig sind und nahe an der Stadt liegen. Die Neuen gehen rüber zu Freunden und Nachbarn, hängen dort zusammen rum, jeder kennt jeden. So gut wie alle, die man hier trifft, machen Musik, lieben Musik, sind hier, um etwas ganz Neues zu erleben, berühmt zu werden oder die, die bald berühmt sind, kennenzulernen. Überall sind die Türen offen, ständig ist irgendwo Party, spielt jemand Gitarre oder Klavier oder trommelt, niemand ist lange am Stück nüchtern, man hat nur selten wichtige Termine. Eine neue Zeit hat angefangen.
So muss es Ende der 1960er Jahre gewesen sein, wenn man den Filmen und Büchern über die Szene im Laurel Canyon glaubt. Neil Young machte sich vom fernen Kanada auf die Reise um hier Stephen Stills zu treffen. Woraus sich erst Buffalo Springfield und später Crosby, Stills & Nash gründeten, später wurde daraus Crosby, Stills, Nash & Young.
Joni Mitchell kam aus New York und lebte mit David Crosby zusammen, Mitchells Nachbar Frank Zappa war auch schon eine Weile da. Cass Elliot von The Mamas & The Papas residierte erst im Keller des Country Stores und fand dann ein höhergelegenes Haus, das zu einem der vielen gesellschaftlichen Zentren des Canyons wurde.

Wir machen heute eine Zeitreise an diesen Ort und in diese Zeit. So sieht jedenfalls der Plan aus. Ein mehrstündiger Spaziergang durch diese Gegend mit unserer Guide Tonya, Treffpunkt an einer Ecke namens Weepah Way und Yuma Place.
Vom Sunset Boulevard kommend biegen wir rechts ab in den Laurel Canyon Boulevard und damit in die Hollywood Hills-Region der Santa Monica-Berge. Sofort ist die flache Großstadt aus dem Blick verschwunden. Die Straßen werden kurviger und immer steiler, rechts und links verdecken Berghänge mit struppigem Gebüsch den Ausblick. Nach ein paar Minuten biegen wir in den Kirkwood Drive ab, sehen im Rückspiegel gerade noch den legendären „Canyon Country Store“ und sind wenige Augenblicke später an unserem Treffpunkt. An der Kreuzung zweier schmaler Sträßchen parken wir unser Auto. Kurz darauf startet unsere Walking Tour durch den Laurel Canyon, der seinen Namen von dem dort wachsenden Kalifornischen Lorbeer – California Bay Laurel hat.

Die Straßen, durch die wir in den nächsten drei Stunden gehen, sind schmal, steil und kurvig. In die Betonplatten der Fahrbahn eingegossen ist der Stempel der Firma und das Jahr, als die Straße befestigt wurde: 1928. Wir gehen also auf demselben Boden wie die früheren Bewohner. An einer scharfen Biegung hält die Anführerin unserer kleinen Gruppe zum ersten Mal an. In den steilen, struppigen Hang hineingebaut ist ein mit ausgebleichten Holzschindeln bedecktes Gebäude mit gewundenem Dach. „Meine Kinder nennen es Hobbit-Haus“, sagt die Guide, sie wohnt hier in der Nähe. Früher gehörte das Haus einer Frau, die aus Karten die Zukunft las. „Jim Morrison war oft bei ihr“, sagt Tonya. „Und es gibt nur einen Zugang zum Haus. Hier ist er also langgegangen.“ Sie deutet auf ein zugewachsenes Tor, hinter dem fast hundert Stufen steil den Berg hinaufweisen. Das Tor, durch das der Sänger der Doors ging, um sich die Karten legen zu lassen.

Langsam arbeiten wir uns weiter hinauf. Immer wieder bleiben wir vor Häusern stehen, erzählt Tonya Anekdoten. Wir sehen das versteckte Haus mit den geschnitzten Balkonen, wo John Lennon in der Zeit, als Yoko Ono sich von ihm getrennt und ihn an die gemeinsame japanische Assistentin May Pang weitergereicht hatte, sein „Lost Weekend“ verbrachte, und das darum auch „John Lennons Baumhaus“ genannt wird.

Dann bleiben wir an einer kleinen Sackgasse namens Walnut Drive stehen, wo Slash, der Gitarrist der Guns’n’Roses, sein „Walnut House“ hatte. In seiner Biographie habe Slash geschwärmt, dass man hier tun könne, was man wolle, und keiner kümmere sich darum, erzählt Tonya. „Aber ganz so war es nicht“. Sie sprach für ihre Tour viel mit Nachbarn, die die Zeiten erlebt haben. „Hier wurde schon immer harte Party gemacht“, sagt sie. „Aber Slash ging nochmal in eine andere Dimension.“ Gerne soll er mit seiner Harley lärmend herumgebraust sein. Oft habe es lautstarken Streit mit seinen Begleiterinnen gegeben. Eine habe aus Wut ein paar von den Boa Constrictors, die Slash in seinem Haus hegte, freigelassen, worauf dieser tagelang durch die Gegend streifte, um seine Haustiere wiederzufinden. Eine der Schlangen verspeiste die Kaninchen der Nachbarn, was dem ohnehin zerrütteten Verhältnis zwischen Slash und ihnen weiter zusetzte. Eine Nachbarin habe, wenn sie den Garten wässerte und ihn heranbrausen hörte, immer extra den Schlauch auf ihn gerichtet. Irgendwann verkaufte er das Haus.

Fast drei Stunden wandern wird durch Berg und Tal. Es ist auffallend still und friedlich. Die wenigen Autos, die vorbeifahren, lassen uns Fußgängern Raum. Die kühle Bergluft und das körnige Licht machen die Magie dieser Gegend deutlich. Dieser Teil des Canyons heißt „Kirkwood Bowl“, er hat die Form einer Müslischale, an deren Rand wir uns einmal im Kreis bewegen. Die Hänge sind extrem steil und oft reicht ein Haus, das von der Straße aus bescheiden wirkt, mehrere Etagen in die Tiefe, eng an den Hang hinabgebaut.
Immer wieder sieht man im dunstigen Licht weit unten Los Angeles, einmal auch, winzig klein, das Hollywood-Zeichen. Ganz zum Schluss dann, im Breitwandformat, die Stadt Los Angeles mit ihren kerzengeraden Boulevards, den weiten, flachen Wohnvierteln und den Wolkenkratzern.

Es gäbe noch viel zu erzählen: Wie Neil Young mal für ein paar Tage wegfuhr und seine Katze aus Versehen in der kleinen Butze, wo er bei der Kartenleserin zur Untermiete wohnte, einschloss und das Tier bei seiner Rückkehr die Unterkunft verwüstet hatte. Wie der eher wurzellose David Crosby ausgerechnet am Nash Drive eine Weile bei einem Freund auf dem Sofa schlief. Dass Joni Mitchells berühmtes Haus ganz in der Nähe des Canyon Country Stores liegt und überhaupt nicht so weit oben, wie es die Adresse 8217 Lookout Mountain Road vermuten lässt – und dass ihr das Haus bis heute gehört. Wie Joni Mitchell immer zu den Pokerrunden zu Glenn Frey fünf Minuten rüber in den Kirkwood Drive fuhr. Dass Freys Haus aufgrund seiner Leidenschaft für Sportübertragungen und Pokerrunden spaßenshalber „Kirkwood Health Club & Casino“ genannt wurde.
Und auch von den lokalen Sitten und Gebräuchen. Offenbar hat hier der Adventskranz gern die Form eines Peace-Zeichens. Weit verbreitet ist es wohl, seine Einfahrt zu Halloween mit Skeletten zu schmücken, diese dann bis Dezember hängen zu lassen, um sie dann mit Lichterketten und Weihnachtsmannmützen auszustaffieren. Wir sehen sie an jeder Ecke.
Immer drängender wird für uns außerdem die Frage, wie die Leute damals betrunken oder unter Einfluss von Drogen es geschafft haben, auf der Heimfahrt von ihren Partys ihre Autos noch um diese krassen Kurven gelenkt zu bekommen.

Nach der Tour machen wir erstmal Halt im eingangs erwähnten Canyon Country Store. Ein freistehendes kleines Backsteingebäude mit Parkplatz und ein paar zusammengesammelten Tischen und Stühlen davor. Dieser Gemischtwarenladen war schon damals das Herz des Canyons, hier kauften Jim Morrison und seine Freundin Pamela Courson den Truthahn zum Thanksgiving, Joni Mitchell ihre Zigaretten, Graham Nash sein Steak und Linda Ronstadt ihre Joghurts.


Der Canyon Country Store macht einen schraddeligen, aber sympathischen Eindruck. Die Jahre haben ihn scheinbar nicht verändert. Der Weg zur Toilette führt durch das Lager und dann eine einfache Holztreppe runter. Vorbei an der Tür, an der ein Plakat hängt: Hier wohnte Mama Cass.
An diesem Ort kreuzen sich Raum und Zeit. Zwischen den engen, verbeulten Regalen schieben sich Touristen – von Instagram-Kids bis angegrauten Althippies sind alle Generationen vertreten – an Alteingesessenen vorbei. Letztere erkennt man entweder am legeren Outfit aus Hausschlappen und spärlicher Morgenmantel-Bekleidung, oder an exzentrischer Aufmachung. Unter anderem sahen wir eine Gestalt, die sich eine Bettdecke in Art einer Toga umgelegt hatte und an beiden Waden schmale Ledergürtel über einer Art Strickleggings trug. An der Art wie er von einer Gruppe Althippies am Stammtisch begrüßt wurde, war klar, dass es sich um einen Local handelt.
Die sympathisch zerfurchten Männer am Einheimischentisch schlürften gemächlich ihren Capuccino, ignorierten die Touristen, sprachen über dies und das und schließlich überreichte einer der Älteren einem anderen einen Plastikbeutel, in dem sich eine Gerätschaft aus vergilbtem Plastik befand, die entweder ein altes Festnetztelefon oder ein altes Faxgerät zu sein schien. „Yeah, I can fix it“, sagte der Empfänger. Offenbar war es dem Besitzer gerade gelungen, jemanden zu finden, der ihm seine Kommunikationsmittel reparieren kann. Gerätschaften, die es noch gar nicht gab, als Jim Morrison und Co hier lebten – und die heute so veraltet sind, dass die Insta-Kids sie wahrscheinlich nicht erkannt hätten.
Die vielen Fotos neben den veralteten Konzerthinweisen sind vergilbt. Ebenso das jährliches Gruppenfoto. Jedes Jahr seit den 1980er versammeln sich alle Bewohner des Laurel Canyons an einem bestimmten Datum vor dem Store, die Zufahrtsstraße wird für zehn Minuten gesperrt und ein Foto wird gemacht.

Und so saßen wir da an der Achse aus Raum und Zeit und ließen uns den Kaffee schmecken. Wir genossen die Frische der Bergluft, den Duft der üppigen Vegetation und das helle, weiche Licht. Über den Kaffee von damals lässt sich nichts sagen. Aber die Luft, das Licht und vielleicht auch der Duft sind noch so, wie sie auch Jim Morrison und Neil Young, Glenn Frey und Jackson Browne erlebt haben dürften.
Es ist genau dieser Store den Jim Morrison in seinem Song Love Street beschreibt. Er wohnte mit Pamela Courson nur wenige Meter von dem Store entfernt, neben einer Wäschereinigung, die es auch heute noch gibt.
I see you live on Love Street
There’s this store where the creatures meet
I wonder what they do in there?
Summer Sunday and a year
I guess I like it fine, so far
Als wir weiterfahren, ist Frau Reiserin für einen Moment unerklärlich melancholisch und versucht ungelenk, Herrn Bert zu erklären, was sie verwirrt. Herr Bert bringt es auf den Punkt: „Das sieht noch alles genauso aus wie damals. Aber es ist nicht wie damals. Weil damals die Revolution ihre Kinder noch nicht gefressen hatte.“

Was an diesem Tag und bisher und sonst noch auf dieser Reise geschah, lest ihr hier…
