Großer hängender Elefant aus Metall mit grüner Patina an einer Straßenbahnbrücke bei Nacht in Oberhausen

„Willkommen in OB“. Steht an unserem Kühlschrank. Er ist mit schwarzer Folie beklebt, um sich dem Ton der Küchenschränke anzupassen. Auch die obere und untere Kante des Kühlgerätes zu bekleben, schien unseren Gastgebern oder deren Helfershelfern aber nicht möglich. So leuchten die unteren und oberen Kanten des Kühlschranks schneeweiß aus dem sonst satten Schwarz der Einbauküche. Irgendwas stört daran. Noch wissen wir nicht, dass es das Gefühl ist, was Oberhausen bei uns insgesamt hinterlässt. Mehr gewollt, als dann herausgekommen ist vielleicht. Die ehrliche Wahrheit, dass Aufhübschen meist nicht funktioniert. Die Wohnung ist freundlich. Willkommen in OB. HerrBert ist etwas verwirrt. OB ist für ihn ein Tampon. Hier, im Ruhrgebiet mag dies als Abkürzung für Oberhausen geläufig sein, für uns ist sie gewöhnungsbedürftig.

Willkommen in OB

Aber gut: Willkommen in Oberhausen. Wir sind zum Static Roots Festival hierher gekommen und das erste Mal in diesem Teil des Ruhrgebiets. Wir wohnen in einer kleinen Airbnb-Wohnung in Laufweite zum Festival. Und dann zieht uns Oberhausen mit seiner Wahrheit in seinen Bann. “Glück auf!“ leuchtet ein Schriftzug. Ein kupferner Elefant in Lebensgröße schwebt über der Straße, „So wie es ist, wird es nicht bleiben“ steht an einer Häuserwand.

Ansonsten sieht es für uns aus wie sonst auch im restlichen Ruhrgebiet: gesichtslos und austauschbar. Schmucklose, meist vierstöckige Häuser aus den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts. Mal wechselt sich eine Fahrschule mit dem Friseur und dem altersgerechten Wohnen ab und mal das altersgerechte Wohnen mit der Fahrschule und dem Friseur. Dazwischen vielleicht hier und da ein Anatolien-Grill. Es gibt viel Grün, viele Bäume und Parks. Trotzdem wirkt es irgendwie leblos, das Oberhausen im Jahr 2025.

Gutehoffnungshütte Stämme

„Wiege der Ruhrindustrie“ steht auf einem anderen Hochhaus. Hier war sie tatsächlich, die Wiege der Ruhrindustrie: Aus dem Hochofen der Hütte in Oberhausen floss siebzehnhundertirgendwann das erste Eisen und läutete damit den Beginn der industriellen Entwicklung hierzulande ein. Das Eisen- und Stahlwerk der Gutehoffnungshütte war das Herz des Ruhrgebietes.

Malochergruß in Oberhausen

Als Kind hörte ich im Ostteil Berlins nach der Schule meine wochentägliche Lieblingssendung im Radio: „Echo am Mittag“ vom Westberliner Sender Freies Berlin. Im Anschluss daran gab es die Wasserstände der Flüsse und die westdeutschen Aktienkurse. „Gutehoffnungshütte Stämme“ verkündete der Radiosprecher mit plus oder minus und den jeweiligen Zahlen. Wörter aus einer fremden Welt. 50 Jahre später stehe ich in Oberhausen, und die Gutehoffnungshütte ist schon längst Vergangenheit. Es gibt nicht mehr viel von ihr – schon gar keine Börsennotierungen. Weder Vorzüge noch Stämme.

Eine Stadt sucht nach ihrem Sinn, nach ihrem Befinden. Was sollen wir sein, wo jetzt alles weg ist? Ende der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts war noch alles da, selbst wenn am Horizont schon die Dämmerung hinaufzog: hier die Zeche, nebenan die Kohle. Die Schlote rauchten, die Friseure stutzten den Kerlen die Haare, während sie den Frauen wundervolle Frisuren zauberten. Am Büdchen gab`s Bier, Zigaretten und den neuesten Tratsch zur Zeitung kostenlos dazu. Aber Teile der Jugend murrten schon: „Ich will nicht werden, was mein Alter ist.“

24/7 in Oberhausen

Alkohol und Tabak gibt es heute im 24/7 Automatenshop – einer direkt gegenüber von unserer Wohnung – und Zeitungen braucht heute kaum noch jemand um auf den neuesten Stand zu sein.

Und so ist es nur folgerichtig, dass gerade hier in Oberhausen die Godfathers zum Abschluss des Static Roots Festival ihren Song aus den Achtzigern des letzten Jahrhunderts herausbrüllen: „Birth, School, Work, Death“. Hier war das Zentrum der proletarischen Maloche, ganze Generationen arbeiteten auf der Zeche oder nebenan in der Kohlengrube. Alles schien sich wie aufgereiht abzuspulen: Geburt, Schule, Arbeit, Tod. Individualismus? Selbstverwirklichung? Fehlanzeige! Einfach sehen, wie man über die Runden kommt, das machen was die Vorfahren gemacht haben.

Oberhausen: Bitte nur den Sockel besprühen

Das ist jetzt alles vorbei und Oberhausen sucht seinen Platz. Das Westfield Centro ist die größte Shopping Mall Europas. Der Versuch, den Ort der rauchenden Schlote in einen Konsumtempel zu wandeln. Aber was sind über zweihundert Jahre Schwerindustrie, welche den gesamten Landstrich geprägt haben, gegen einen neumodischen Trend mit nicht mal einer Halbwertzeit von dreißig Jahren? Die Kunstprojekte verweisen auf die Geschichte der Stadt. Der hängende Elefant auf die unzähligen Stahltrosse, welche hier in Oberhausen für die Wuppertaler Schwebebahn gefertigt wurden. Ebenso der Malochergruß „Glück auf!“, welcher typisch für den hiesigen Hütten- und Bergbau war. Nur: Wer nimmt das als Gruß wahr heutzutage? Im Zentrum von Oberhausen herrscht an diesem Samstag eine Leere, welche auch die Kunstinstallationen nicht weg installieren können, genau wie ein bisschen Folie am Kühlschrank nicht reicht, um sich einzupassen in die durchoptimierte Realität von heute. Jedenfalls nicht perfekt. Nicht so, dass man das Fehlen nicht bemerkt.

Song des Tages: Birth School Work Death von Godfathers

Was sonst?

Von Herr_Bert