Altmodisches, verwittertes, gelb-rotes Schild mit der Aufschrift 'MOTEL' und 'Lake Powell' sowie einer Telefonnummer am Straßenrand

Heute haben wir nochmal so richtig gewohnt. Der Stellplatz, wo wir gestern in Mesquite angekommen sind, entpuppt sich als moderne, sehr saubere und fast leere Kiesfläche, rhythmisch gestaltet mit wenigen kargen, jungen Bäumchen, die jeden Abend genau eine Viertelstunde lang künstlich bewässert werden. An jedem Stellplatzeingang weht ein kleines Amerikafähnchen, in der Ferne rauscht die Autobahn und außer unserem sind nur sehr wenige Plätze besetzt. Von frühmorgens an bratzt die nevadische Wüstensonne herunter, und reflektiert auf den hellgrauen Straßen so hell, dass man sich fühlt wie von einem Scheinwerfer angeleuchtet. Die Szenerie ist fast menschenleer, und als die Reiserin heute Vormittag zum Duschhaus ging, kam sie sich vor wie in einem Gemälde von Edward Hopper. Sie war begeistert.

Später saß sie an der praktischen Picknicktisch und – bankkombi, die hier zu jeder Parzelle gehört, und genoss die knochentrockene Hitze. Über der ganzen Szenerie spannte sich der riesige, blassblaue Wüstenhimmel, am Horizont verlief der Highway, auf dem die Trucks wie ein Sinnbild für irgendwas aneinander vorbeifuhren. Jetzt fühlte sie sich wie in einem Film von Wim Wenders. Romantische Gefühle erfüllten sie, irgendwas mit Vergeblichkeit des menschlichen Strebens, der dennoch eine ewige Bewegung innewohnt.

Die Vergeblichkeit menschlichen Strebens schließt Bewegung am Horizont nicht aus – RV-Stellplatz in Mesquite, NV

HerrBert hörte derweil Hörbuch. Diesem Vergnügen gibt er sich tagsüber nur sehr selten hin, aber heute war es soweit. Es ist unser letzter Tag mit dem Straßenbär und es macht Spaß, mal keine Pläne zu haben, sondern für einmal richtig zu wohnen. Weil es draußen ab Mittag gegen vierzig Grad hatte, warfen wir die Klimaanlage an – interessanterweise kann sie lediglich elf Grad Celsius kühler kühlen als die Außentemperatur. Aber immer noch besser als nichts.

HerrBert hört Hörbuch

Am Nachmittag hatte HerrBert sich dann sattgehört, und verspürte jetzt selbst den Drang, etwas zu schreiben. Die Ortschaft Page, wo wir die letzten Tage verbracht hatten, ließ ihn nicht los, und er hatte das Bedürfnis, seiner Faszination auf den Grund zu gehen. Hier der Text:

Mein wundersames Page

Wir waren zwei Nächte in Page auf dem RV Platz, da wir uns den Antelope Canyon und den Horseshoe Bend anschauen wollten. Wir kamen aus Sedona, wo unser spontaner Eindruck war: das Garmisch-Patenkirchen von Arizona. Dort schien die Kultur eines Erholungsortes lang gehegt und gepflegt worden sein. Vielerlei Geschäfte und Restaurants drängen sich an der Main Street, die Strip Malls – die großen Plätze an denen sich wie sonst üblich in den USA Geschäfte und Restaurants reihen – sind in Sedona erst außerhalb zu finden.

Jedenfalls hat Page diesen Charme eines altehrwürdigen Erholungsortes nicht. Page wurde erst 1957 als Arbeitersiedlung für die Erbauer des nahen Glen Canyon Dam gegründet. Obwohl mittlerweile über 3 Millionen Besucher jährlich in die Stadt kommen, hat man den Eindruck, Page ist immer noch nicht ganz über den Rang einer ehemaligen Arbeitersiedlung hinaus gekommen.

Auch dieses Schild in Page hat wohl schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel

Außer drei, vier Hotels halbbekannter Hotelketten, dem Supermarkt „Safeway“ im Stadtzentrum und ein paar öffentlicher Gebäude der Stadt, scheinen alle restlichen Häuser einstöckige Holzhäuser zu sein. Als wir von der Main Street in eine als „Street of the Little Motels“ benannte Seitenstraße einbiegen, zeigen sich wirklich links und rechts der Straße Motels, die aus den Gründungstagen der Stadt zu stammen scheinen. Kleine Holzhäuser mit Parkplätzen vor den Zimmertüren, die so schmal sind, dass ein heutiger SUV mindestens zwei davon benötigen würde. Hier könnte man noch wundervolle Geschichten aus den 60/70er Jahren des vorigen Jahrhunderts verfilmen, bei denen eine junge Meryl Streep mit einem verzauberten Lächeln aus der Moteltür tritt, oder Faye Dunaway einem die Autoschlüssel zuwirft, mit den Worten: „Es ist Zeit, sich aus dem Staub zu machen“… So sieht es aus in dem Ort namens Page in Arizona im Jahr 2025.

Die Straße der putzigen Motels geht über in ein Viertel mit kleinen hölzernen Wohnhäusern. Aber nicht von der Sorte schnuckelig, selbstgebaut und mit viel Liebe gepflegt, sondern derer aus damaligen Katalogen: schnell abgeworfen, Anschlüsse montiert, Geld kassiert und schnell wieder weggefahren (Faye Dunaway). Irgendwie lieblos fristen sie ihr Dasein, niemand hält es für Wert die Häuser zu pflegen, geschweige denn, sie gar aufzuhübschen. Allerhand Gerümpel ziert einige Vorgärten, darunter auch Wracks alter Autos. Die Kulisse wirkt aber nicht bedrohlich heruntergekommen wie in Vierteln amerikanischer Großstädte. Einfach nur „Mir egal, wie das Haus von außen aussieht“. Erst ein paar hundert Meter weiter, fast am kleinen Flughafen von Page, trotzen ein paar wenige protzige Häuser diesem Eindruck, aber auch diese sind in ihrer Protzigkeit irgendwie so geschmacklos, dass man auch dort nicht wohnen wollen würde.

Tagsüber drängeln sich die Touristen um die an der Main Street liegenden Offices der Tourenanbieter. Der Hot Spot am Nachmittag und Abend in Page ist „Big John`s Texas BBQ“ an der Main Street. Das BBQ liegt direkt an einer Straßenkreuzung in einer alten Tankstelle. Unter dem Vordach, wo früher die Zapfsäulen standen, kann man auf Bänken sitzend essen und trinken sowie, wenn es dann an der Zeit ist: einer alten Rumpelcombo lauschen, die American Classics zur Erbauung der Gäste spielen soll. Sie tun das wahrscheinlich fünf bis sechs Mal die Woche, vielleicht spielen sie auch die Woche durch und nur einzelne Musiker machen frei – und deren Parts werden von der Zweitbesetzung übernommen. Wer will das schon wissen. Denn hier sind eigentlich nur Touristen wie wir, die es originell finden, zu amerikanischem Essen amerikanische Musik zu hören. Hier kommt man nicht ein zweites Mal her, die Touristen sind am nächsten Abend schon weiter gefahren zum nächsten Canyon oder Gebirge, und niemanden fällt auf, dass der halblahme Billy, der gestern den Bass zupfte heute vom dicken rothaarigen Dave abgelöst ist. Ein Unterschied ist eh nicht zu hören.

Vor Big John`s Texas BBQ

Und dann ist noch die Kirchenmeile des South Lake Powell Boulevard, eine halbkreisförmige Straße um das Sportfeld der hiesigen High School. Während auf der Innenseite des Halbkreises das Sportfeld liegt, welches die Straße eben umrunden muss, sind auf der Außenseite schön säuberlich Kirche an Kirche aufgereiht. Neun an der Zahl. Von der Coppermine Road kommend macht die Kirche der Sieben-Tage Adventisten den Anfang. Es folgt die St. Davids Episcopal Church, danach die Sheperd of the Desert (das reimt sich so schön, das gibt Extrapunkte bei der B-Note), die Lutheran Church, dann die Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints, danach kommt das Haus der Zeugen Jehovas. Dahinter, nicht direkt an der Straße, weil sie wohl zu spät gekommen und daher kein Grundstück direkt an der Straße bekommen haben, steht die Kirche der vereinigten Methodisten von Page. Nun kommt die Lake Powell Kirche, gefolgt von der First Assembly of God und zum Abschluss die First Baptist Church, bevor an der Straßenecke das weltliche Leben in Form einer Tankstelle den Kirchenhalbkreis beendet. An einem späten Sonntagvormittag, wo der Atheist denkt, jetzt sollte doch der Kirchenbesuch der Gläubigen anstehen, sind die Parkplätze der Kirchen nur halb gefüllt. Gottes (neun) Wege scheinen auch hier unergründlich und zum zehnten Weg muß er ein wenig weiter in eine abgelegene Gegend, denn da liegt die katholische Kirche.

Keine Kirche, sondern die Mall

Irgendwie scheint die Stadt nicht zu wollen oder zu können. Das scheint den Charakter dieser Stadt, deren Gelände durch Landtausch der Navajo Nation abgehandelt wurde, auszumachen. Mit dem Horseshoe Bend, den verschiedenen Slot Canyons, darunter der berühmte Antelope Canyon, dem Staudamm, der wellenförmigen Felsformation „Wave“, wo die Zutrittsberechtigungen verlost werden, mit alldem müßte die Stadt doch blühen. Aber das tut sie nicht. Und das macht sie irgendwie sympathisch – neben dem Kirchenhalbrund.

Morgen früh geht es los nach Las Vegas, und dann nach Hause.

Viele Abendgrüße aus der Wüste!

Der letzte Tag mit dem Straßenbär: Darauf einen André!


Song des Tages: Place Names von Nick Waterhouse

Der Retro-inspirierte Popstil von Nick Waterhouse passt zur Retro-Stimmung in Page.

Was bisher (und danach) geschah: hier