Der heutige Tag hatte es in sich: Wir trafen einen Hund, der auf Kommando sprach, wurden fast von einem Kraterrand geweht, von Meteoriten beschossen, trotzten den vier Winden und waren dabei, als im gesamten Grand Canyon der Strom ausfiel. Dabei war heute eigentlich bloß ein Fahr- und Haushaltstag. Aber so ist das scheinbar in Arizona.
Dabei begann der Tag ganz gemächlich. Die Reiserin war, dem Jetlag sei dank, auch heute zu unnatürlich früher Zeit wach und auf Betriebstemperatur, und auch der HerrBert hatte sich mit dem vergleichsweise harten Bett des Straßenbären arrangiert und wachte erfrischt und fröhlich auf. Hart feilschten wir danach um jeden Programmpunkt. Der HerrBert wollte unbedingt noch den Desert View Watchtower am östlichsten Ende der Südkante des Grand Canyon sehen und dann die Strecke nach Süden in Richtung Sedona unter die Räder nehmen. Die Reiserin verwies hartnäckig auf den Meteoritenkrater, der fast am Weg liege – und darauf, dass sie die Wäschewaschmöglichkeiten in unserem Trailer Village in Anspruch nehmen wolle, da es, wie sie bereits in Erfahrung gebracht hatte, an unserer nächsten Station keine solche gibt.
Außerdem mussten der Straßenbär heute auch den hygienischen Grundprozeduren – Wassertank füllen, Abwasser- und sonstige Tanks leeren – unterzogen werden. Und pünktlich zum Sonnenuntergang wollten wir in Sedona an einem bestimmten Aussichtspunkt sein, wo wohl die gesamte Bevölkerung dem Sonnenuntergang huldigt, der dort besonders prachtvoll die prähistorischen Felsen leuchten lassen soll, für die dieser Ort berühmt ist. Und so machte wir uns auf den Weg.
Der Waschsalon zu dieser Zeit nur wenig frequentiert. Auf der lauschigen Warteterrasse amüsierte ein anderer Gast die Anwesenden mit dem Trick, den sein Hund konnte. Auf das Kommando „speak!“ machte das schwarzweiße Tier nämlich murmelnde Geräusche, die denen seines Artgenossen aus Loriots Sketch („Mein Hund kann sprechen“) in nichts nachstanden. Kaum war die Wäsche blütenfrisch und säuberlich gefaltet, ging es los zum Desert View Watchtower.

Der 21 Meter hohe, schlichte Steinturm aus den 1930 Jahren steht fast direkt an der Kante zum Grand Canyon. Die Aussicht auf dem kurzen Fußweg dahin war atemberaubend, vor allem, weil heute ein extrem starker, böiger Wind wehte, der die Reiserin immer wieder abwägen ließ, was sie tun sollte, wenn entweder HerrBerts Handy oder er selbst davonflöge. Aber nichts dergleichen geschah.
Wir reihten uns in die kurze Warteschlange in dem Turm, aufmerksam beäugt von einem rätselhaften Angestellten, der mit einem kleinen Gerät die Anzahl der Gäste erhob und immer genauso viele Leute hinauf ließ, wie gerade zur Treppe hinunterkamen. Manchmal schummelte er – oder das Zählen verwirrte ihn – und die Betreiberin des kleinen Gift Shops ermahnte ihn, dass er über den erlaubten 25 Leuten war, die gleichzeitig die vier mit Motiven der Native American Mythologie verzierten Etagen bevölkerten. Während wir warteten, hängte die Kollegin der Gift Shop-Betreiberin ein Zettel an den Eingang: „Stromausfall. Laden bleibt zu“. – „Stimmt“, meinte die Reiserin daraufhin. „Ist ja gar nirgends Licht an.“ Und so war es.
Das bestätigte auch der Mann mit dem Zähler. „Im ganzen Nationalpark ist das Licht ausgefallen.“ – „Warum?“, fragte die Reiserin. Daraufhin schaute er sie sehr nachdenklich an. Allzuoft scheint er nicht nach Gründen für irgendwas gefragt zu werden. Nach einer kurzen Pause will er wissen, ob wir seine Vermutung hören wollen. Aber natürlich. „Der Wind hat irgendwas an den Strommasten gemacht. Aber ich rate nur.“ Die Reiserin ist zufrieden. Eine gute Erklärung, fast egal, ob sie stimmt oder nicht. Dann sind wir auch schon an der Reihe und klettern die Treppen hoch, um noch einmal von oben den absolut atemberaubenden Grand Canyon zu bestaunen.

Und dann nichts wie los zum Barringer-Krater. Auf dem Weg dahin verlieren sich die milde Nadelbaumigkeit sowie die damit abwechselnde schroffe Felsigkeit der bisherigen Landschaft, und sie verwandelt sich in eine bunte Weite mit ockerfarbenen Felsen, grünen Bäumen und beigen Hängen. Mehrere Male werben Schilder an der Straße für Straßenmärkte, Aussichtspunkte oder Silberschmuckverkäufe – doch immer, wenn wir in die Nähe kommen, sind nur verlassene, windschiefe Marktbuden aus verwittertem Holz, geschlossene Zufahrtswege und irgendwie trostlos im Wind flatternde „Open“-Schilder zu sehen, die ganz offensichtlich die Situation verkennen.
Nach einer Weile erscheint auf HerrBerts Seite der Straße eine spektakulär steile, tiefe, langgezogene Schlucht in der Prärie. Leider ist auch die Zufahrtsstraße dahin gesperrt. Danach wird die Landschaft durch Strommasten zerstückelt und in der öden Weite sind nur verlassene Ortschaften oder schäbige Ansiedlungen aus Trailerhomes zu sehen. Wir sind auf dem Gebiet der Native Americans, in diesem Fall der Navajo.

Dann ruft der Krater. Lange fahren wir im staubigen Licht durch eine weite, leicht wüstenartige Landschaft. Hin und wieder weist ein Schild darauf hin, wie weit der Krater noch entfernt ist. Im Grund erwarten wir etwas, das aussieht wie ein Vulkan: ein Berg, der entstanden ist, weil aus dem Erdinneren Lava herausgeschossen ist. Aber hier war es das Gegenteil: Ein Meteorit schlug vor 50 000 Jahren an dieser Stelle in die Erde ein und hinterließ eine massive Delle. In den 1930er Jahre fand ein Mann namens Barringer heraus, worum es sich handelte, und erschloss das Landstück sowohl für Besucher als auch für Forscher – nach ihm ist der Krater heute benannt. Das alles wussten wir auf der Fahrt noch nicht. Wir waren entsetzt, dass wir, statt der erwarteten Kraterkante, einen umfangreichen Gebäudekomplex mit einem riesigen Parkplatz in der Landschaft erblickten – um dann zu erfahren, dass wir, um den Krater zu sehen, 27 Dollar pro Person zahlen müssten. Es sei denn, jemand von uns ist schon 60, dann kostet es nur 25 Euro. Inbegriffen: ein Film, ein Vortrag, ein Geschenkeshop, eine Ausstellung und eine Attraktion für Kinder, wie uns der Kassierer erklärte. Und natürlich der Krater selbst.

„Wir sind jetzt dafür hierhergefahren, wir gehen da jetzt rein“ entschied HerrBert, und schon stapften wir zur Tür, die nach draußen zum Krater ging, und gegen die der Wind so sehr drückte, dass sie kaum zu öffnen war. Der Krater war der Hammer, da waren wir uns einig. Als wir uns genug durch den Wind hatten zerzausen lassen, ließen wir uns von einer freundlichen Angestellten in die im Preis inbegriffene Kinderattraktion locken: ein kleines Kino mit hydraulisch bewegten Sitzen, in dem ein alberner Film gezeigt wurde, in welchem wir als Crew eines Raumschiffes durch einen Meteoritengürtel reisen, um mit einer Atompistole einen Felsbrocken zu zerstäuben, der die Erde bedroht. Anführer war ein eingeblendeter, hypereuphorischer Comic-Hase. Außer uns war nur eine spanische Männergruppe zugegen. Die Reiserin kicherte, als wir auf rabiat wackelnden Sesseln durch den Sternnebel auf der Leinwand zu fliegen schienen, während aus Düsen Luft gepustet wurde, die uns das Gefühl gab, an den Armen und Beinen von Sternenbrocken beschossen zu werden. Bezaubernd und sehr albern. Die Reiserin war begeistert. Als wir auf den Einlass warteten, verriet uns die Angestellte, dass oben am Krater heute Winde von 90 Meilen pro Stunde gemessen worden seien. Dagegen sind ja wohl die Asteroiden aus dem Film ein Witz. Kein Wunder, dachte die Reiserin, dass der Straßenbär so wackelte, als HerrBert ihn mit voller Kraft durch den Wind preschen ließ. „Four Winds“ heißt das Modell, und es machte dem Namen heute alle Ehre.
Trotz gemeinsamer Kräfte von Wohnmobil und Fahrer schafften wir es danach nicht mehr zu unserem letzten Programmpunkt heute: den Sonnenuntergang in Sedona. Als wir ankamen, war die Sonne schon untergegangen, und der für ihren alternativen Lifestyle gelobte Ort zeigte sich in der Nachtbeleuchtung. „Das Garmisch-Partenkirchen von Arizona“, knarzte HerrBert. Der Sonnenuntergang ist auf morgen vertagt.

Song des Tages: Grand Canyon Melodie von Martin Böttcher
Diese epische Filmmelodie mit gefühlvollen Geigen und munteren Mundharmonikas hörten wir heute, während wir zum Watchtower fuhren. Sie fügte sich so perfekt in die Umgebung und mit den Bildern aus den Winnetou-Filmen zusammen, die wir als Kinder sahen, dass wir die ganze Zeit grinsen mussten.

Was bisher (und danach) geschah: hier
