Eintrag zum 13. und 14. Januar 2025 – geschrieben am 15. Januar
Midpines, 5°C
Das Wichtigste zuerst: HerrBert hat es geschafft! Am Montagmittag passierte er, zusammen mit der Reiserin, das Südwesttor des Yosemite-Nationalparks, den Nationalparksspass griffbereit am heruntergekurbelten Fenster. Bloß, dass dort gerade niemand war und man so durchfahren konnte. Noch durch ein kleines Felsentor, und voilà.
„Na siehste“, sagte Frau Reiserin.

Doch von Anfang an. Am Morgen waren wir aus unserer Residenz in dem kleinen Bergstädtchen Mariposa aufgebrochen – erneut zu übernatürlich strahlendem Sonnenschein. Auch diese Unterkunft hatten wir kurzfristig von unterwegs gebucht und Glück gehabt: ein sehr großes, liebevoll im italienischen Kristall- und Goldspiegelstil ausgestattetes, dabei preiswertes Apartment mit voll eingerichteter Küche, Gas-Cheminée und kuscheligem Teppich. HerrBert legte sich sofort ins Bett. Er kränkelt nämlich seit Bakersfield. Während er schon mal ein bisschen vorausschlief, bereitete Frau Reiserin aus unseren gerade noch im zauberhaften Pioneer Supermarket getätigten Einkäufen Abendessen.
Am nächsten Morgen streiften wir durch Mariposa und bewunderten die überlebensgroßen Grizzly-Figuren, die die Zapfsäulen der gleichnamigen Tankstelle dekorierten – dann fuhren wir los in Richtung Nationalpark.
Die Straße führt durch ein schmales Tal, das an beiden Seiten von grün bewachsenen Berghängen begrenzt wird. Neben der Straße fließt der Merced River durch sein steiniges Bett. Es sieht aus wie die Berglandschaft einer Modelleisenbahn, nur monumentaler. Sehr hoch ist es hier nicht – der Eingang liegt auf knapp 600 Meter ü. M. Nach ungefähr einer halben Stunden Fahrt erreichen wir den Zugang namens El Portal. Unterwegs kommen wir auch an unserem Quartier für die nächsten zwei Nächte vorbei, dem AutoCamp Yosemite. Auch für Frau Reiserin gibt es nämlich heute eine Premiere, doch dazu später.

Im Yosemite-Nationalpark wird die Landschaft noch spektakulärer. Steile Felswände, weite Abhänge, Steinbrocken, unten enges Tal. Wir kommen an einem bezaubernden kleinen Kirchlein vorbei. Es sind einige Leute unterwegs, am Brautschleierwasserfall steigen wir aus. Es ist kalt, zum Glück haben wir Mützen eingepackt. Vom obersten Felsen fällt Wasser, das nicht einfach herunterfließt, sondern sich wie ein Brautschleier auffächert. Auf der Schattenseite des Tales liegt Reif. Schön hier. Bei einem der vielen Stopps stellt HerrBert allerdings fest, dass er einen seiner Handschuhe hier im Park verloren haben muss, ein Wermutstropfen.

Als die Sonne langsam in Richtung Berghang sinkt, machen wir uns auf den Weg in unser Quartier. Es wird für zwei Tage in einem Wohnwagen sein. Aber nicht in einem normalen Wohnwagen. In einem Airstream.

Das mit den Wohnwagen ist nämlich eine Problemzone zwischen HerrBert und Frau Reiserin. HerrBert liebt das Aufwachen in wilder Natur – oder wenigstens auf einem Campingplatz in wilder Natur, kombiniert mit der Bequemlichkeit eines Wohnmobils. Wenn er irgendwo Zähne putzen und irgendwo früh Kaffee brauen kann, ist er zufrieden. Frau Reiserin hingegen ist im Vergleich dazu etepetete. Sie möchte ein Ort, wo sie duschen kann, ohne dass zehn Leute in der Schlange warten, bis sie fertig ist. Und sie möchte nicht in einer Plastikbüchse schlafen, wie sie es ausdrückt. Erste Versuche der Kompromissfindung – einmalige Übernachtung in einem Campervan in Island vor drei Jahren – führten zu mehrtägigen Zerwürfnissen.
Aber Airstream ist nicht Wohnmobil. Airstream ist eine Ikone.
Das AutoCamp im Yosemite-Park bietet die Übernachtung in solchen typisch mit Aluminium verkleideten Wohnwagen. Sie folgen dem Originaldesign der 1930er Jahren, sind aber innen modern ausgestattet. Das AutoCamp besteht aus einer größeren Anzahl solcher Anhänger, die dicht an dicht am Rande eines kleinen Sees aufgereiht sind und je über eine eigene Feuerstelle, sowie über eine aus Mikrowelle, Wasserkocher und Spülbecken bestehende Küche und eine eigene, geräumige Dusche verfügen.

Frau Reiserin ist begeistert: echtes Schlafzimmer mit super Bettwäsche, richtige Dusche, geräumig und stilvoll eingerichtet, unmuffig, fancy, perfekt. Zwar dürfen wir unser vor einigen Tagen unterwegs erworbenes Päckchen Feuerholz hier nicht verwenden und müssten ein Beutel mit funkenfreien Pellets erwerben. Das ist natürlich nachvollziehbar – aber wir lassen das mit dem Feuer erstmal ganz. Drinnen ist es sowieso mauscheliger. Die Heizung heizt nämlich gut. Für einen Wasserkocher- und Mikrowellenschmaus zum Abend haben wir bereits vorgesorgt: Kartoffelbrei aus der Packung, warme Dosenbohnen mit Kräutern und frischen Salat. HerrBert, ein Anhänger des echten Kochens, ist positiv überrascht: bisher bewährt sich seine Reisebegleiterin gar nicht so schlecht.
Dann kommt die Nacht. Und mit ihr das Heiz- und Lüftungssystem des Airstreams. Es besteht aus zwei Wandauslässen für die Heizluft, zwei Dachventilatoren und einer Klimaanlage. Die Anlage ist undurchschaubar und vollkommen eigenwillig. Nachdem wir die bulligen knapp 26°C im Schlafzimmer zur Nacht runterregeln wollen, geht kurz nach Mitternacht an der Decke die Ventilatoren in der Lautstärke eines startenden Jumbojets an. Wir stehen im Bett. Leider gibt es hier kein Funknetz, sondern nur das schale WLAN des Camps, so dass unser Hilfeersuchen den Front Desk nicht erreicht. Irgendwann führt das Daddeln an allen Knöpfen und Schaltern sowie das Angucken eines Tutorials im Internet dazu, dass die Lüftung schweigt. Leider hat damit auch die Heizung ihr Wirken eingestellt. Am nächsten Morgen wachen wir bei 7°C Innentemperatur auf und Frau Reiserin erinnert sich schlagartig an alles, was sie gegen Wohnwagen hat. Der kränkelnde HerrBert klappert mit den Zähnen.

Doch die Sonne strahlt und der Yosemite ruft. Also wieder durchs Tal gefahren. Das Eingangshäuschen ist diesmal besetzt, und die junge Rangerin lächelt freundlich, als ihr HerrBert unsere Karte entgegenstreckt. „Ich hab euch doch gestern schon gesehen!“ Das stimmt, sie hat unsere Karte beim Verlassen des Parks kontrolliert. Als ihr HerrBert nun auch noch seinen einen Handschuh fragend entgegenstreckt, lacht sie auf. „Ja, wir haben den anderen gefunden!“. Kurz nestelt sie in einer Kiste und schon hat HerrBert wieder beide Handschuhe beisammen.
Heute wollen wir zum Mirror Lake, eine Wanderung von etwa zwei Stunden. Leider ist der Weg, den wir uns aussuchen, gesperrt. Die Alternative geht von einem schattigen Parkplatz aus, aber der hustende HerrBert bekennt, dass er keine Lust hat, sich in diese feuchte Kälte aufzumachen.

Also Alternativprogramm. In der Nähe liegt ein historisches Hotel namens Ahwahnee, das auf allen Karten der Region erwähnt wird. Also fahren wir hin. Eher zufällig entdecken wir, dass es in der Nähe des Parkplatzes auch hier einen Wanderweg zum Spiegelsee gibt, knapp 1,5 Stunden hin und zurück. „Das schaffen wir, bevor die Sonne untergeht“, sagt Frau Reiserin, und wir stapfen los. Der Weg führt direkt am Hotel vorbei, und ziemlich genau dort ist er auch zu Ende: Ein offizielles Dokument weist darauf hin, dass hier im Berg neulich neue Felsspalten entdeckt worden sind und daher bis auf Weiteres wegen Steinschlaggefahr niemand hier weitergehen kann. Wir beschließen, uns das Hotel, das von außen ziemlich unspektakulär und kaum historisch aussieht, halt doch mal anzusehen.

Dahinter ragen steile Felswände auf, die Anlage wirkt schattig und verwunschen. „Erinnert mich irgendwie an `Shining`, murmelt die Reiserin. Weil gerade Netz da ist, sucht sie mehr Information zu dem Hotel. „Ahwahnee Shining“ ist eine der ersten Suchanfragen, die das Handy vorschlägt. „Entweder kann es meine Gedanken lesen, oder die Assoziation ist extrem unoriginell“, murmelt sie. Wir gehen rein. Im Innern ist es auf eine karge Weise pompös, eine Art fancy Alpinstil der Vorkriegszeit. Erbaut 1927, liest HerrBert. Hinten gibt es einen großen Garten und er entdeckt von außen einen an die Lobby angeschlossenen, imposanten Raum. Wir gehen rein: eine Mischung aus Rittersaal auf der Wartburg – und der Lounge im „Outlook Hotel“ in Shining, wo Jack Nicholson beim Tippen langsam durchdreht. Von der Decke hängen Ritterkronleuchter, befestigt an alten Holzsparren mit düsteren Ornamenten. Kleine, merkwürdige Sofas vor den Fenstern, wo seltsam erstarrte ältere Paare sitzen und schweigend in die Ferne starren.

Dann endlich macht es Bing. Dieser Saal erinnert nicht an Shining. Er ist Shining: Er war die Vorlage für die Lounge im Film. Stanley Kubrick war hier mal zu Gast und wurde von der weitläufigen, skurrilen Düsternis inspiriert. Das Internet ist voll mit Fotovergleichen und Hintergrundinformationen. Wir sitzen noch eine Weile rum und sind begeistert. Kurz überlegen wir, ob wir noch eine gute Stunde ausharren, und uns dann das sehr ausgiebige Buffet-Dinner im spektakulären Speisesaal gönnen sollen. Aber auf uns wartet ja der Airstream und wir entscheiden uns dagegen.
Zurück im AutoCamp informiert man uns, dass der Fehler mit der Lüftung behoben wurde, schenkt uns zum Trost ein Säcklein der safen Grillkohle und wünscht einen schönen Abend.

HerrBert erklärt sich bereit, das Feuer zu machen, stellt aber fest, dass man das Jutebeutelchen inklusive Inhalt einfach bloß an beiden Zipfeln anzünden und dann in die Feuerschale legen muss. Keine wirkliche Herausforderung für einen Naturburschen wie ihn. Einträchtig brutzeln wir auf dem Feuer unseren heutigen Cowboy- und Cowgirl-Schmaus. Frau Reiserin gibt sich alle Mühe, ihre Wohnmobiltauglichkeit zu beweisen. Danach Nachtruhe. Spoiler: Nicht nur der Deckenventilator kann nachts satanischen Krach verbreiten. Das schafft auch die normale Heizung.

Song des Tages: I still miss someone von Bob Dylan und Johnny Cash
Was viele nicht wissen: Diese zwei US-amerikanische Legenden haben auch zusammen Musik gemacht.
