Eintrag zu Samstag, 4. Januar 2025 – geschrieben am 5. Januar
Joshua Tree, 17°C
Als HerrBert in der Nacht kurz wach wird, pfeift der Wind um den Wüstenbungalow. Er pfeift auch noch, als die Sonne ihn später durch das Bungalowfenster an der Nase wachkitzelt. Unsere Unterkunft ist nämlich so eingerichtet, dass man vom Bett aus direkt auf die Wüste sieht, und früh nur ein wenig den Kopf drehen muss, um auch den Sonnenaufgang vom Kopfkissen aus mitzubekommen. Als HerrBert auf die Terrasse tritt, um den Tag zu begrüßen, zerzaust der Wind ihm die Haare. Er geht einmal ums Eck auf die andere Terrasse und schwupps: windstill und Sonnenschein. Hier kann man den Morgenkaffee in Ruhe genießen.

Eigentlich müssten wir den ganzen Tag in unserem Häuschen verbringen. Auf der Terrasse sitzen, ein wenig durch die Landschaft stromern, in den Büchern stöbern, die dekorativ im Midcentury Coffeetable drapiert sind – oder in denen, die wir selbst dabeihaben. Auf dem kleinen Vintage-Schallplattenspieler die ebenfalls vorrätigen Greatest Hits von Neil Diamond hören oder Herb Alperts „South of the Border“. Wobei bei letzterer Aktivität Frau Reiserin irgendwann anmerkt, dass die Platten nicht nur stark eiern, sondern der Lautsprecher auch ziemlich scheppert.

Man müsste einfach in die Weite der Wüste hinausgucken und dem einen Auto pro Stunde, das auf der Dusty Road vorbeifährt und Dust in the Wind hinterlässt, hinterherschauen. Wahrnehmen, wie sich nach fünf Minuten der Staub und auch die Aufregung wieder gelegt haben, und darin die universelle Wahrheit erkennen. Dann würde man eine Kleinigkeit essen, vielleicht neuen Kaffee aufbrühen, und dann alles wieder von vorne. Einfach nur hier sein. Weil es so schön und für uns so einmalig ist.
Aber wir haben halt auch viel vor. Die Reiserin ist schon früh auf und kommt frisch aufbereitet und bestens gelaunt aus dem Bad. Das Frühstück wird ohne gebratene Eier mit Speck kurz gehalten. Der Joshua Tree Nationalpark will erkundet werden, darum sind wir hier. Als wir uns auf der Dusty Road auf den Weg machen, beschließen wir, noch kurz beim Waschsalon im Ort Joshua Tree anhalten, um uns schon mal über die Öffnungszeiten und die weiteren Gegebenheiten kundig zu machen. Wir finden ihn auf Anhieb, er sieht gut aus, viele Maschinen und ein Münzwechsler sind vorhanden und die Öffnungszeiten sind human. Letzte Waschladung um 17:30 Uhr. Das reicht dicke für unseren Ausflug in den Park. Jetzt also ab in die Natur.

Aber es kommt anders. Der Ort lässt uns nicht gehen. Es ist einfach alles zu schön. Heute ist Samstag und auf der Straße vor dem Waschsalon, an der sich auch diverse Cafés und Second Hand-Geschäfte reihen, findet der Farmer’s Market statt. Die gesamte Bevölkerung scheint hier zu sein, gemütlich schlendern sie herum, mindestens die Hälfte hat Hunde dabei, es ist wie in einem Dorf. Ein paar Touristen sind auch da. Die Einheimischen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in Schluffklamotten und mit Wüstenhaar entspannt ein Schwätzchen halten. Wüstenhaar ist Frau Reiserins Bezeichnung für den pragmatischen Verzicht auf Frisuren, da der Wind und die trockene Luft noch das gepflegteste Haar innerhalb kürzester Zeit in zotteligen Strähnen legt.
Die Sonne strahlt über dem weiten Tal mit dem breiten Highway 62 in der Mitte, das die Wüstenorte Joshua Tree, Twentynine Palms und Yucca Valley nicht nur verbindet, sondern sie im Wesentlichen ausmacht: Wüste, ein Highway und ein paar Gebäude an beiden Seiten. Da, wo die große Ampelkreuzung ist, tobt heute, am Samstag, für ein paar Stunden das Leben. Kaum hat HerrBert den ersten Cappuccino – hier wird er vegan serviert – bestellt, sind alle unsere Pläne für den Tag zerstoben. Hier ist es so schön, hier wollen wir bleiben.
In den nächsten Stunden schlendern wir herum, stöbern in den Buch- und Vintageläden, verirren uns auch mal in einen Mineralienshop und kaufen schließlich von einem drahtigen, graubärtigen Street Art-Künstler, dessen scheues Charisma trotz verspiegelter Sonnenbrille und tief ins Gesicht gezogener Basecap uns sofort in seinen Bann zieht, zwei auf zerschnittene Pappkartons gemalte Bilder. Mit einem weiteren Kaffee setzen wir uns irgendwann auf ein Mäuerchen an einer Ecke und beobachten das Treiben.

Die Einheimischen sind aus ihren Behausungen aufgetaucht, um sich zu treffen, auszutauschen, und wohl auch, um Jobs zu checken, Aufträge zu vergeben, irgendwelche Dinge zu regeln. Dabei sind sie so cool und abgerockt gleichzeitig. Nicht nur die Wüstenhaare und die Schluffklamotten, auch die Tiefenentspanntheit, die hier alle zeigen. Viele Geschäfte haben Regenbogenflaggen, jeder ist freundlich, niemand murrt oder drängelt. Die unaggressive Andersartigkeit von allem, wie wir es von zuhause kennen, ist umwerfend. „Hey Mann, wir sind in der Wüste, wen interessiert’s, wie du aussiehst und wer du woanders bist?“


Mag sein, dass einige der Locals, die heute hier den Samstag verbringen, unter der Woche im 45 Minuten entfernten Palm Springs hinter einer Hotel-Rezeption stehen, aber heute und hier sind sie sie selbst. Hier in der Wüste verblasst der Glanz der großen Städte. Es ist staubig, die Umgebung ist von der Witterung zerschlissen und wir sind weit weg von allen Schaltzentralen irgendwelcher Macht.
Die Inserate an den Zettelwänden der Cafés bieten Edelsteinworkshops und Yoga-Retreats an. Es geht viel um „Healing“ und viele Geschäfte – und auch unser Künstler – weisen darauf hin, dass sie mit einem Teil ihrer Einkünfte einen der Animal Shelter, also Tierheime, in der Region unterstützen. In einem im Westernstil gehaltenen Biergarten gibt eine Combo aus graubärtigen und -mähnigen Männern Stones-Coverversionen zum Besten, und Frau Reiserin schwört, dass sie mehr als einen der vielen Hunde gesehen hat, die hier mit ihren Herrchen und Frauchen zuhören, wie sie im Takt mit dem Kopf gewippt haben.

Aber das Ende kommt zeitig, um kurz nach 15 Uhr steht die Sonne schon deutlich tiefer, und um 16 Uhr beginnt jetzt im Winter die Dämmerung. Wir wollen die letzten Tagesstunden noch nutzen und fahren weiter nach Yucca Valley, um uns dort noch kurz umzusehen. Dieser Ort ist wesentlich größer und gleichzeitig gesichtsloser. Wir gucken uns nur kurz ein paar Trödelgeschäfte an und fahren dann zurück nach Joshua Tree in den Waschsalon.

Während Frau Reiserin die Maschine belädt, streift HerrBert noch etwas in der Gegend herum und entdeckt direkt hinter den Geschäftsgebäuden einen Sonnenuntergang, wie er ihn noch nie gesehen hat. Es sieht aus, als ob der gesamte Himmel in Flammen steht. Doch fast ebenso schnell, wie das Schauspiel begann, ist es wieder zuende und die Nacht senkt sich über die Mojave-Wüste.
„Morgen fahren wir aber ganz sicher in den Nationalpark“, versichern wir uns an diesem Abend noch mehrfach. Aber werden wir es auch tun? Morgen mehr…

Song des Tages: Song des Tages: Solitary Man von Neil Diamond
HerrBert wusste gar nicht, dass dieser Song von Neil Diamond ist. Er kannte immer nur die Version von Jonny Cash. Auch „Girl, You`ll Be a Woman Soon”, bekannt aus „Pulp Fiction“, ist von Diamond und war auf dem Greatest Hits-Album zu finden, das im Wüstenhaus im Plattenkörbchen steht und den kleinen Schallplattenspieler so herzergreifend scheppern ließ.
