Silouette einer überlebensgroßen silberner Alienfigur mit einem runden UFO auf dem Kopf, daneben eine große Roboterfigur mit einem Bildschirm, der 68 Grad anzeigt, daneben hohe Palmen im Gegenlicht. Hinter dem Roboter geht die Sonne unter, der Himmel ist klar und hellblau

Eintrag zum 6. und 7. Januar 2025 – geschrieben am 8. Januar

Las Vegas, 16°C


Jetzt brennt es in Los Angeles! Wir sind weit weg in Las Vegas und in Sicherheit. Die Entwicklungen machen uns fassungslos. Es ist gerade eine Woche her, dass wir dort unbeschwerte Tage erlebten. Wir sind in Sorge um unsere Vermieterin dort, die trotz der Einlieferung ihres Mannes in die Notaufnahme es sich nicht nehmen ließ, unsere Wäsche zu waschen. Nun ist das Feuer nur wenige Blocks von ihrem Haus entfernt.

Trotz der katastrophalen Situation in Los Angeles geht unsere Reise weiter. Sie führt in den Norden von Kalifornien. Erst in knapp zwei Wochen ist unser Rückflug von Los Angeles aus geplant. Es wird sich fügen.


Viva Las Vegas

Wir fahren durch die Mojave-Wüste in Richtung Norden und dann östlich nach Las Vegas. Lange führt unser Weg durch leeres Gelände, wo nur ein paar Büsche wachsen. Der Horizont ist weit entfernt, begrenzt von Bergketten. Irgendwann sind auch die Büsche weg. Das findet die Reiserin merkwürdig und sie guckt nach. Noch gibt es Netz. „Ausgetrockneter Salzsee“, sagt sie. „Hier wird Salz produziert“. Tatsächlich sehen wir jetzt hin und wieder ein paar kleine Fabrikgebäude.

Irgendwann kommt etwas in Sicht, das wie eine spärliche Wohnsiedlung aussieht – und eine uralte Tankstelle. „Amboy“, sagt HerrBert. Die einzige Ortschaft weit und breit, bekannt für die wahrscheinlich letzte Tankstelle der USA, wo noch ein Tankwart am Werk ist – oder in diesem Fall eine Tankwartin. Hier sind wir auf der Route 66 – die John Steinbeck in seinem Roman „Früchte des Zorns“ als „Mutter aller Straßen“ bezeichnete.

Nur selten kommt ein Auto vorbei, meist springen die Fahrer nur kurz heraus, um die in der Sonne strahlenden Schilder von Tankstelle und Café zu fotografieren. Amboy ist ein Geisterdorf, außer den Betreibern der Tankstelle lebt hier niemand, auch wenn es ein kleines, hübsch im Vintage-Stil ausgestattetes Motel gibt.

Wir wollen ebenfalls weiter, denn bald geht die Sonne unter und der Weg nach Las Vegas ist noch weit. Kurz nach Amboy ist die Route 66 abgesperrt und eine Umleitung auf einer kleineren Straße ausgeschildert. Frau Reiserin hechtet aus dem Auto, um das „Detour“-Schild zu fotografieren. Ist ja unser Motto: Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

Die Straße führt uns immer tiefer in die Mojave, die Sonne geht langsam unter und die Tankanzeige näherte sich dem roten Bereich. HerrBert hatte vergessen zu tanken. Das Benzin müsste zwar bis Las Vegas reichen, aber eben nur gerade so. Frau Reiserin ist, wie wir ja schon wissen, nicht mit den besten Nerven ausgestattet. Unauffällig schmult sie von der Beifahrerseite immer mal wieder aufs Tankdisplay und dann auf den Stand der Sonne. In ungefähr einer Viertelstunde wird es stockdunkel sein.

„Hier, Abzweig, 12 Meilen zur Tankstelle“, ruft sie plötzlich abrupt. „Das Navi zeigt aber geradeaus an“, sagt HerrBert. Er ist ein erfahrener Fahrer, und an dieser Route gibt es aus seiner Sicht nichts auszusetzen. „Bitte“, ruft die Reiserin. „Lass uns tanken. Gleich ist es finster, dann sehen wir eh nichts mehr von der Umgebung.“ Na gut, HerrBert nimmt den Abzweig, auch wenn das Navi nichts von dieser Route sagt. Dann hängt es sich sowieso auf, weil das Netz weg ist.

In der Dunkelheit fahren wir durch das finstere Nirgendwo der Mojave in die Richtung, wo möglicherweise irgendwann die Tankstelle kommen müsste. Falls das Schild recht hatte. Und wir richtig abgebogen sind. Und nicht ohnehin schon alles verloren ist. Die Reiserin überlegt kurz still, ob sie schon mit dem Leben abschließen soll, beschließt dann aber, eher zu überlegen, wie man zur Not am besten im Auto übernachten könnte.

Doch dann kommt der Freeway 15 und damit auch die Tankstelle in Sicht. Es scheint, als ob die Reiserin jeden einzelnen Angestellten vor Glück umarmen könnte. Sie belässt es aber beim stillen Aufatmen.

Weiter geht es auf dem vielbefahrenen Freeway 15 nach Las Vegas. An der Grenze zu Nevada begrüßt uns das Städtchen Primm mit Lichtermeer, Casinos und Einkaufsläden für alle, die nicht mehr bis Las Vegas warten können – und signalisiert, dass wir jetzt das eher sittenstrenge Kalifornien verlassen und im maximal auf Hedonismus und Glücksspiel ausgerichteten Nevada angekommen sind. Danach ist erstmal wieder Dunkelheit und Wüste, die auch den Bundesstaat Nevada dominiert.

Erst eine halbe Stunde später, als wir aus den Bergen kommend in die Talsenke der Wüste runterfahren, präsentiert sich erneut ein flaches, diesmal riesiges Lichtermeer: Las Vegas. Wir begrüßen es mit allen Versionen von „Viva Las Vegas“, die wir in unseren Playlists finden können. Angefangen bei Elvis, über Nat King Cole zu den Dead Kennedys und schließlich zu Nina Hagen.

Schon von hier aus ist sichtbar, was für ein Wahnsinn diese Stadt ist. Ursprünglich war es nur ein winziges Wüstenkaff. Doch als der Hoover-Damm in der Nähe gebaut wurde, mussten von überallher Arbeiter angelockt werden – mit viel Geld und vor allem genügend Gelegenheit, es wieder auszugeben.

Darauf beruhen die liberalen Gesetze von Las Vegas: Anders als in den meisten anderen Bundesstaaten der USA wurden hier Alkoholkonsum, Glücksspiel und Prostitution erlaubt. Mitte des 20. Jahrhundert fiel der Mafia an der Ostküste dann auf, dass dieser gottverlassene Ort mit losen Sitten und wenig Polizei existiert, worauf sie sich ebenfalls nach Nevada begab und anfing, die ersten großen Casinos und sonstigen Unternehmungen zum Zweck der Geldwäscherei aufzubauen.

Es dauerte eine Weile, bis die Staatsgewalt ihr auf die Schliche kam. Heute ist Las Vegas längst ein durchorganisiertes Vergnügungsparadies unter staatlicher Aufsicht, und die alte Mafia hat hier die Zeit nicht überlebt. Aber noch immer ernährt man sich hier vom Ruf der „Sin City“ – mit all ihrem Glitzer und all ihren zweifelhaften Aspekten. Vor allem aber mit ihrem überbordenden, grenzenlosen Wahnsinn, so einen Moloch mitten ins Nirgendwo zu bauen.

Bevor wir in unser Tiki-Quartier fahren, steuern wir nochmal „Trader Joe’s“ für ein paar Einkäufe an. Als HerrBert nach Eiern guckt und keine findet, erfährt er auf Nachfrage: Eier gibt’s nicht, Vogelgrippe. Willkommen zurück in der Wirklichkeit.

Kurz darauf checken wir im Tahiti-Resort ein und beziehen unser Appartement – das Tiki-Motiv eher spärlich eingesetzt, aber eine großzügige Wohnung mit offener Küche, einem separaten Schlafzimmer, Badewanne und Balkon. Der Balkon hat zwar keinen Poolblick, aber den ganzen Tag Sonne, was im „kalten“ Winter von Las Vegas mit seinen 16°C Tageshöchsttemperaturen durchaus angenehm ist. Viva Las Vegas.

Am nächsten Tag stürzen wir uns auf den Strip, wie der Las Vegas Boulevard genannt wird. Hier reihen sich die großen Resorts und Casinos aneinander. Die Reiserin findet heraus, dass man beim Hotel „Circus Circus“ am nördlichen Ende des Strips umsonst parken kann. Von dort nehmen wir den Bus, der rund um die Uhr den Strip rauf und runter fährt. HerrBert möchte als erstes zum „New York New York“ am südlichen Ende, das wir auf der Herfahrt gesehen haben. Ein gigantisches Hotel-Casino, das aus lauter nachgebauten Wolkenkratzern und einer Imitation des Empire State Building besteht – und durch dessen Lobby eine Achterbahn fahren soll.

Jedes Resort und Casino am Strip hat ein anderes Thema. Vor dem New York steht eine Kopie der Freiheitsstatue und eine Andeutung der Brooklyn-Bridge. Vor dem „Bellagio“ liegt eine Miniaturversion des Comer Sees, wo alle Viertelstunde ein Ballett aus Wasserfontänen gezeigt wird. Direkt gegenüber liegt „Paris“ mit einem Nachbau des Eifelturms. Im „Venetian“ ist im Innenraum nicht nur ein ganzes, funktionierendes Brücken- und Kanalsystem inklusive von singenden Gondolieri gelenkter Gondelbooten angelegt, sondern es gibt auch einen Nachbau des Markusplatz, über den man flanieren kann. Über allem spannt sich ein blauer Himmel mit weißen Tüpfelwölkchen und einem Licht, das irgendwo zwischen Nachmittag und Abenddämmerung eingestellt ist. Die Wolkendecke ist künstlich, die Truman-Show lässt grüßen.

Flanieren ist ein wichtiges Stichwort. Am besten endlos. Die Reiserin, die schon mal hier war, hatte HerrBert gewarnt. „Zieh bequeme Schuhe an, in Las Vegas läuft man ewig.“ Schon der Weg vom Parkdeck ins Innere des Circus Circus dauerte fast eine halbe Stunde. Endlos reihen sich Souvenirbutzen und Fast Food-Restaurants aneinander, dazwischen Glücksspielautomaten und hin und wieder ein Pokertisch. Kinderbespaßungsareale wechseln sich ab mit weiteren Daddelautomaten und weiteren Souvenirläden. Es blinkt und trötet allerorten. Nur ab und an gibt es Hinweisschilder wie an einer Wanderkreuzung im Thüringer Wald, wo es zur Hotellobby, zum nächsten Klo oder zu irgendeiner weiteren Attraktion geht. Was nie ausgeschildert ist: der Ausgang. Denn hier soll man nicht rausgehen, sondern bleiben, daddeln, sein Geld hierlassen, sein ganzes Wollen und Streben auf den nächsten Gewinn lenken, kaufen, essen, für immer und ewig. Doch so weit sind wir noch nicht. Wir ziehen weiter.


Song des Tages: Las Vegas von Nina Hagen

Fanden wir super.