Es fing alles mit einem Besenstiel an. Es war unser erster ganzer Tag in Mexiko und wir waren nachmittags zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden im großen Supermarkt der amerikanischen Kette, die mit W anfängt und auch hier an jeder Ecke eine Filiale hat. Wir waren nach Cabo San Lucas gefahren, das Warnemünde oder Bremerhaven von San José del Cabo, je nachdem in welcher Ecke Deutschlands die eigene Sozialisierung stattgefunden hat. Aus Parkplatzmangel platzierten wir unser Gefährt im Parkhaus des dortigen Einkaufsparadieses, um einen Bummel am Hafen zu machen. Keine drei Stunden später auf dem Weg zurück zum Auto: „Wenn wir doch schon mal hier sind…“, strahlte Frau Reiserin. Aus unerfindlichen Gründen liebt sie den großen, bösen Supermarkt, und brauchte außerdem Shampoo.
HerrBert stimmte murrend zu, denn er war auf der Suche nach einem Selfiestick bisher nicht fündig geworden. Zudem benötigten wir neues Trinkwasser für unterwegs. „In zwanzig Minuten vor Kasse 10“ verabredeten wir uns und zogen los zum getrennten Jagen und Sammeln. Ungefähr in der Halbzeit traf die Reiserin in der Haushaltsabteilung auf einen strahlenden HerrBert. Er trug einen schlichten roten Besenstiel ohne Besen in der Hand. „Genau, was ich gesucht habe!“. Frau Reiserins dezenter Hinweis, dass die Ähnlichkeit mit einem Selfiestick zwar vorhanden ist, diese sich aber letztlich in der Form erschöpft, ließ er nicht gelten. „Genau, was ich gesucht habe!“ Na gut.
Die Reiserin schob den Wagen, in dem nun nebst ihrem Shampoo, einem spezifischen Ladekabel, Wasser und einem Artikel Männerkosmetik von HerrBert der rote Besenstiel platziert war. Diese Information wird noch Bedeutung haben. Kurz darauf stellte sie den Wagen nämlich im Damenbekleidungsgang genau vor Kasse 10 ab, um noch kurz die Weihnachtsdekorationsabteilung zu besuchen, die jahreszeitlich auch in Mexiko schon aufgebaut ist und bei über 30 Grad Celsius Außentemperatur aus zentraleuropäischer Sicht sehr exotisch wirkt. Als sie zurückkam, war der Wagen weg! Empört klapperte sie das Karree ab und als HerrBert kurz darauf zum verabredeten Zeitpunkt ebenfalls auftauchte, schloss er sich der Suche an.

„Da!“, wies er auf den Wagen, aus dem ein roter Besenstiel ragte. Geschoben wurde er von einem jungem Mann, der durch seine exzentrische Bekleidung und eine flamboyante Blondierung leicht als feieraffiner Nordamerikaner auszumachen war, von denen einige zwecks Amüsement in Cabo San Lucas – der Partyhochburg der Baja California Sur – anzutreffen sind. Neben dem roten Besenstiel hatte er auch noch einen großen Wandspiegel im Wagen. Die Reiserin glaubte an Zufall. War aber keiner. Ein weiterer Blick ergab: Auch HerrBerts Deo sowie Frau Reisens Shampoo, unser spezifisches Handykabel und der Wasserkanister, den wir geholt hatten, lagen in dem Wagen. Nebst diversen Tütchen Backhefe und allerlei Einrichtungsgegenständen, die von ihm stammten.

„Excuse me, Sir“, sagte die Reiserin und wies den Partymann freundlich auf die Möglichkeit hin, das er den falschen Wagen genommen und mit seinen Sachen befüllt habe. „Nein, gar nicht!“, rief dieser. „Das ist alles meins!“ Die Reiserin deutete auf die spezifische Kombination unserer Artikel und beharrte darauf, dass diese unsere seien. „Nein, alles meins!“, wiederholte der Mann. Kurzerhand griff HerrBert nach dem roten Besenstiel und seinem Deo, die Reiserin klammerte sich an ihr Shampoo. „I want my Trockenbackhefe“, begann der Amerikaner jetzt zu zetern. „Give me my Trockenbackhefe!“ – „Dann take your Trockenbackhefe and give us our Einkaufswagen zurück“, meinte die Reiserin und allmählich erhitzten sich die Gemüter.
Die eigentliche Geschichte beginnt aber erst jetzt.
Mit den Worten „What’s the matter, guys?“ und einem leeren Einkaufswagen hatte sich nämlich ein kräftiger Mexikaner mittleren Alters zu uns gesellt. Er sehe, dass es ein Problem gäbe, darum habe er uns einen neuen Wagen mitgebracht. Er wies auf das goldene Namensschild an seiner Hemdbrust und stellte sich vor: Jack, Kundenbetreuer dieses Supermarkts. Wir packten um und der Amerikaner zog mit seiner Trockenbackhefe und unserem ursprünglichen Einkaufsgefährt davon. Wir dankten Jack und ließen uns in einen Smalltalk verwickeln. Ja, wir sind zum ersten Mal in Los Cabos. Ja, wir werden uns unbedingt die berühmten Felsformationen ansehen, für die die Region berühmt ist. Jack strahlte. Er ist nicht nur Kundenbetreuer, sondern vertritt auch einen Tourenanbieter für Touristenbootsausflüge zu den Felsformationen.


„Ich mache euch einen Rabatt!“, versicherte er. „Nur für die Kunden hier! Kommt nachher zu meinem Stand, gleich hinter der Kasse!“ Und so kam es, das wir, ohne zu wissen, wie uns geschah, jetzt nicht nur einen abschraubbaren Besenstiel mitführen, sondern auch unbesehen eine Touristenbootsfahrt gebucht und bezahlt haben, deren genauer Beginn uns genauso unbekannt ist wie Treffpunkt oder sonstige Details. Wenn wir die Tour machen wollen, sollen wir einfach Jack eine Stunde vorher per WhatsApp kontaktieren, Infos folgen dann sofort, und die Tour finde jede Stunde statt. Hopp oder Top? Wir werden sehen.
Und was war vor dem Supermarktbesuch? Da schlenderten wir bei mexikanischer Knackhitze durch die übermäßig possierliche Innenstadt von San José del Cabo und fuhren dann über die Verbindungsstraße namens „Corridor Turistico“ eine knappe Stunde in Richtung Südspitze von Baja California nach Cabo San Lucas. Beide Orte zusammen bilden „Los Cabos“, wobei San Lucas weniger malerisch ist und wesentlich mehr Touristenhalligalli bietet. Auch die meisten Ausflüge starten dort. Am Bootshafen probierten wir eine sagenhaft köstliche Speise namens Curricanes, bestehend aus Möhrchenstreifen in Mangosauce, die mit Scheiben von rohem Thunfisch umwickelt sind. Während wir aßen, tummelten sich zwischen den Jachten die Seelöwen. Ein Traum.




Jetzt beginnt für uns in Mexiko ein neuer Tag und die Hähne krähen schon. Gibt es die Touristenbootsfahrt, die wir bei dem freundlichen Tourenverticker, der nebenbei als Kundenbetreuer im Supermarkt tätig ist, erworben haben, tatsächlich? Wird HerrBert mit seinem Besenstiel einen funktionsfähigen Selfiestick für seine Unterwasserkamera basteln können? Dieser Tag wird hoffentlich die Antworten bringen…stay tuned und saludos desde México!
Song des Tages: Fuiste Mía un Verano von Leonardo Favio
Dieses emotionale Chanson schwebte aus einem Café, als wir durch San José del Cabo streiften. Der Argentinier Leonordo Favio wurde in den späten 1960er Jahren zu einem der berühmtesten Künstler Lateinamerikas. Bevor er als Sänger Erfolg hatte, wurde er als Filmregisseur bekannt. Das Stück heißt „Du warst mein für einen Sommer“ und handelt von einer verflossenen Liebe, die Bücher las, einen verletzten Vogel in ihrer Hand wärmte und den Sänger für einen Sommer glücklich machte. Jetzt läuft sie am Fenster des Cafés vorbei, wo er sitzt, aber sie bleibt nicht stehen.
Was bisher geschah: Hier
