Ein grauer Esel geht mit geschlossenen Augen an einer sandigen Küste entlang

Nun haben wir unsere Eselchentour doch noch gemacht! Aber ohne das beherzte, mehrmalige Eingreifen der beeindruckend energischen Hotelrezeptionistin aus unserem letzten Hotel in San José del Cabo wäre es wieder nichts geworden. Zur Erinnerung: Ganz am Anfang unserer Reise hatten wir die Zufahrt zur Ranch, die die Abendspaziergänge mit Esel anbietet, ja knapp verpasst, und wären fast im sandigen Gelände, wohin uns das Navi fälschlicherweise führte, verschütt gegangen. „Wo bleibt ihr?“, fragte damals jemand von der Eselsranch per SMS, als uns die beiden uralten Brüdern, auf deren Land wir gestrandet waren, befreit und wir wieder Netz hatten. Aber da war die gebuchte Tour schon vorbei. „Ihr könnt an jedem anderen Tag kommen“, bot man uns freundlich an. Nehmen wir gerne an, wenn wir nach zwei Wochen von unserer Reise aus dem Norden zurück sind. So verblieben wir. „Kein Problem, meldet euch einfach.“ Wir bedankten uns artig.

Kaum lagen die Aufregungen und Abenteuer der beiden Wochen im Norden hinter uns, wurden wir wieder per Nachricht bei der Eselsranch mit unserem Wunschtermin vorstellig. Alles kein Problem, bezahlt hatten wir ja schon, knapp 90 Euro pro Person. Um zu verhindern, dass wir uns wieder verfahren, hatte man schon am Anfang angeboten, uns in Cabo San Lucas abzuholen. Also vier Tage vorher Wunschtermin bestätigt und Abholadresse genannt, bitte um Bestätigung. Zwei Tage nüscht. Darum die Nachricht, die bisher auf Englisch lief, auf Spanisch übersetzt und zur Sicherheit noch als E-Mail geschrieben. Nüscht. Am Vortag der Tour nochmal dringendlich in schönstem KI-Spanisch um Bestätigung gebeten. Nada. Allmählich etwas nervös geworden und der Rezeptionistin das Leid geklagt. Wir notierten ihr alle wichtigen Fakten auf einen Zettel und gaben ihr die Telefonnummer. Sie griff sofort zu ihrem Handy, rief die Eselsrancher an und meldete nach einem Wortfeuerwerk Vollzug: „Eure Nachrichten sind angekommen, sie erinnern sich an euch und rufen euch heute an und bestätigen auch per E-Mail.“ Muchas gracias! Einem schönen letzten Tag in San José del Cabo stand nichts mehr im Weg.

Von der Eselsranch allerdings weiterhin: nüschte und nada. Als die Rezeptionistin beim Auschecken am nächsten Tag davon erfährt, hat sie ihr Handy schon in der Hand, die Eselsnummer ist noch gespeichert, eine neue Salve, diesmal mit Lautsprecher. Jaja, alles gut, kein Problem, wie war nochmal die Buchungsnummer? Es war, als hörten die Esel zum ersten Mal von uns. Dabei wollten wir doch heute Abend mit ihnen in den Sonnenuntergang spazieren. Jetzt ist auch die Rezeptionistin, in deren Laden alles wie am Schnürchen läuft, aufgeregt. Eine neue, energische Wortsalve. Dann ein zufriedenes Lächeln. „So, hier, die Bestätigung der Ranch! Macht ein Foto davon!“

Smartphone mit WhatsApp-Chat, Textnachrichten auf Spanisch, Hintergrundbild mit rosa und blauen Farbverläufen
Endlich da: die Bestätigung, dass die Esel auf uns warten

Nach wenigen Minuten spanischer Wortsalven hat die Rezeptionistin per Messenger die Bestätigung, dass, wo und wann genau wir am Abend abgeholt werden, schwarz auf gelb und rosa, so ist das Handy der Rezeptionistin eingestellt. Eine ausgemacht große Glückswelle durchströmt die Rezeption unseres kleinen Hotels, und wären wir nicht verstockte Deutsche, hätten wir uns glücksüberströmt in den Armen gelegen und uns immer wieder aufs Neue versichert, dass diese Welt eine gute sei, oder alternativ, dass sich nun alles, aber auch wirklich alles zum Guten wenden würde. „Kein Problem, schickt mir ein Bild von den Eseln“, verabschiedet uns die Rezeptionistin. „Und speichert meine Nummer. Wenn was ist, ruft ihr an.“

Vorfreudig stehen wir gestern Nachmittag dann pünktlich an der verabredeten Abholstelle. Keine drei Minuten später kommt ein Van mit dem Namen der Eselsranch. Ein freundlicher Mexikaner färt uns die vierzig Minuten durch den Feierabendverkehr in Richtung Küste. Gerade als die Reiserin zu HerrBert sagt, dass wir beim ersten Versuch so weit gar nicht gekommen waren, zeigter auf der rechten Straßenseite auf das Viehgitter mit dem verwitterten Wächterhäuschen, wo wir letztes Mal vom richtigen Weg abgekommen sind.

Wenige Meter weiter biegt unser Bus in die andere Richtung ab. Wir waren so nah dran gewesen! Eine Weile rumpelt er noch in Richtung Strand, dann lässt er uns vor dem dunklen Tor eines zugewucherten Gebäudes aussteigen. Sofort wird die Tür aufgerissen, und zwei junge, strahlende Frauen mit Eselsranch-Shirts begrüßen uns freudig, zwei Französinnen. Später stellt sich heraus, dass die Ranch vorwiegend von Volunteers betrieben wird, von denen auffallend viele aus nicht näher bekannten Gründen aus Frankreich zu kommen scheinen. Bevor es losgeht, sind nochmal 20 US-Dollar pro Person zu bezahlen, „Eintritt für den Nationalpark“. Aha.

Mit Holzzweigen überdachte Terrasse mit Holztisch, darauf ein Topf mit grüner Pflanze, darüber ein geflochtener Lampenschirm, im Hintergrund Sträucher und Palmen unter blauem Himmel
Die Terrasse ist lauschig

Von der lauschigen Terrasse der Ranch werfen wir einen Blick aufs Gelände und erblicken – genau zwei Esel, die an einer ausgeblichenen Holzplanke stehen. Der dunklere von beiden erinnert die Reiserin spontan an ihr erstes Kuscheltier, das nach langjähriger, intensiver Beziehung vollkommen räudig, entpelzt und löchrig wirkte. Auch der Esel sieht so ähnlich aus. „Er hat eine Hautkrankheit“, erklärt die eine Französin bezaubernd lächelnd. „Wir schmieren ihn immer mit Salben ein, aber er hört nur nachts auf zu kratzen“. Hm. Laut Website leben zur Zeit 14 gerettete Esel auf der Ranch, dann wird das hier wohl die Krankenstation sein. Ist sie aber nicht. „Das sind Kikito und Mango“, stellt die andere Französin strahlend die beiden Esel vor. „Wir werden heute mit ihnen spazieren“. Vorsichtig nähert sich die Reiserin dem helleren der beiden Eselchen, das offenbar Mango heißt und lange, sanft bepelzte Ohren hat. „Sie sind beide sehr freundlich“, sagt die Französin, wird aber nicht spezifischer.

Brauner Esel mit weißer Schnauze und rotem Seil steht auf trockenem, spärlich bewachsenem Boden und frisst
Kikitos Leine auf keinen Fall mehrfach um die Hand wickeln

Dann kommt das angekündigte Sicherheitsbriefing. Es besteht aus einem einzigen Punkt: Die abgeschabten Leinen, an denen die Esel geführt werden, nicht mehrfach um die Hand wickeln. Weil, falls der Esel durchbrennt, tut das weh. „Der hat ganz schön Kraft.“ Aha. Und schon trotten wir los, HerrBert mit dem räudigen, dominanten Kikito, die Reiserin mit Mango, dessen Sanftmut sich sofort auf sie überträgt. Trotzdem achtet sie penibel darauf, nicht hinter dem Tier zu gehen. Oder waren das Mulis, die ausschlagen? Egal. Die Esel scheinen den Weg zu kennen, bloß wenn ein Quad oder ein Auto kommt, werden sie nervös, wie die Französinnen erklären. Bedauerlicherweise führt zu dieser Stunde kurz vor dem Sonnenuntergang jede nur irgendwie buchbare Abendtour auf allen Ranches dieser Gegend genau hierher. So, dass alle paar Minuten ein Quad oder ein Auto auf unserer Route vorbeikommt, und wir in keinen gemächlichen Schritt mit den Tieren kommen. „Schön hier, oder?“, unterbrechen die Französinnen ihr angeregtes Gespräch, in das sie übergegangen sind, nachdem wir den Smalltalk mit ihnen eingestellt hatten, weil wir lieber in Ruhe die Stille mit den Tieren auskosten würden. Begleitet werden wir von einer Hündin, die aufgeregt um die Tiere herumrennt, und vor allem Mango ziemlich nervös zu machen scheint. „Die ist uns vor ein paar Wochen zugelaufen“, verkündet fröhlich die Französin. „Sie hat sehr viele Junge bekommen, die wir jetzt zu verteilen versuchen.“ Aha.

Als der Weg auf die felsigen Klippen hoch führt, von denen aus man den Sonnenuntergang und das Meer besonders schön sehen können soll, fängt Mango an, sich zu weigern. „Komm, Mangi, du schaffst das“, murmelt die Reiserin, die bereits eine Beziehung zu dem Tier spürt. „Du bist schließlich ein Esel.“ So keuchen wir zu viert den Berg hinauf. „Oh, oh“, sagen die Französinnen, als wir fast oben sind. „Die Pferde“. In Einerreihe nähert sich ein Trupp von Feierabendtouristen, die bei einer der Ranchos die „Auf dem Pferd zum Sonnenuntergang“-Tour gebucht haben. „Die Pferde machen die Esel nervös“, sagen besorgt die Französinnen. Allerdings bockt auch das Pferd des Anführers erheblich. Vorsichtig führen wir die Esel an den Pferden vorbei – inzwischen hat sich auch noch ein Quad an den kleinen Aussichtspunkt heraufgekämpft, womit die Plattform voll ist. „Die Pferde sind doof“, flüstert die Reiserin Mango beschwörend ins Ohr. „Die interessieren uns gar nicht. Wir sind die Esel.“ Schritt für Schritt kommen wir an den Pferden vorbei und steuern zum Strand.

Blick auf einen Strand in sandiger, karg bewachsener Landschaft unter hellblauem Himmel, im Vordergrund das Hinterteil eines braunen Esels
Wir sind die Esel!

„Wollt ihr tauschen?“, fragen die Französinnen. Auch HerrBert soll mal mit dem sanftmütigen Mango gehen. HerrBert findet mit Mango den Rhythmus und schreitet mit ihm voran. Doch Kikito ist das Leittier und mag nicht hinterherlaufen. Energisch zwickt er Mango ein paarmal in den Nacken, die Französinnen lachen. „Sie sind wie Brüder, die sich necken“. Die Reiserin lässt sich vom räudigen Kikito mitführen. Er fährt die Strategie:„Wenn ich schon nicht vorne gehen kann, dann bleibe ich an jedem trockenen Strauch stehen. Soll die Alte zusehen, wie sie mich wieder bewegt kriegt.“ Wenn gar nichts mehr geht, schieben die beiden Französinnen den Esel von hinten an. Nach ein paar Minuten bittet die Reiserin um erneuten Tausch, HerrBert stimmt zu. An kurzer Leine führt er Kikito und die beiden trotten gemächlich über den Strand, an dem langsam die Sonne untergeht.

Sonnenuntergang über dem Meer mit bewölktem Himmel und felsiger Küste im Vordergrund
Für den Sonnenuntergang hat es sich gelohnt

Warum ist der mexikanische Esel eigentlich bedroht, wie die Ranch auf ihrer Website betont und in dieser Sache sogar mit dem lokalen Bierbrauer Baja Brewing Company zusammenarbeitet, der die Ranch unterstützt? „Er gilt als Delikatesse“, sagt die eine Französin. „Wenn wir sie nachts nicht einsperren, würden Mexikaner mit dem Pick Up-Truck kommen und sie stehlen.“ Äh, okay. Und wie kommt die Ranch an die geretteten Tiere? „Die haben wir hier gefunden“, sagt die andere Französin. „Tagsüber können die Tiere frei herumlaufen. Nachts schließen wir sie ein. Sie wissen, dass sie bei uns Futter kriegen, darum kommen sie zurück.“ Also fast immer. Mitte der Woche waren die Esel allerdings abgehauen, erfahren wir, und die Belegschaft musste sie suchen gehen. „Wir haben sie aber wieder gefunden und jetzt sind sie wieder hier.“ Aha.

Zwei Esel stehen auf sandigem Boden neben einer überdachten Terrasse mit mehreren ausgebreiteten Matten
Zum Glück wiedergefunden: Kikito und Mango

Mango hat nach dem erneuten Wechsel nicht mehr zu seiner Sanftmut gefunden. Auch er drängt die Reiserin nun immer wieder ins Gebüsch und will fressen. „Gleich sind wir zuhause“, murmelt sie auf ihn ein. „Lauf mal hinter Kikito her“. Denn als er das Leittier vorhin einmal aus den Augen verlor, fing er an, wild an der Leine zu zerren, was die Französinnen mit einem Lachen quittierten. „Er wird nervös, wenn er Kikito nicht sieht.“ Aha.

Es wird schnell dunkler. Allmählich kriegt die Reiserin mit Mango auch wieder einen Rhythmus, die Französinnen unterhalten sich angeregt, mutmaßen, dass Mango auch darum an diesem Strand nervös ist, „weil er hier gefunden wurde“, dann geht alles ganz schnell. Mango wird hektisch, fängt an, sich hin und her zu werfen und für einen kurzen Moment sieht es aus, als ob er auf dem sandigen, leicht abschüssigen Gelände umkippt. Aber nein, er kippt nicht um. Die Reiserin kippt um. Sie hat nämlich vergessen, seine Leine loszulassen. Nichts passiert, ist nur Sand, aber schön ist anders. Jetzt bemerken die Französinnen, dass etwas nicht stimmt. Mango und die Reiserin schütteln sich. „Ach so“, sagt die Französin. „Der Hund ist ihm wieder in den Weg gelaufen, das macht ihn immer nervös.“ Aha. Ein wenig besorgt sind sie jetzt um die Reiserin, die sich bereits wieder aufgerappelt hat. Nur einen Schreck und eine kleine Schramme am Knie. „Wirklich? Ganz sicher?“ Ja, wirklich, ganz sicher. Könnten wir jetzt bitte zurück zur Ranch, bevor es dunkel ist?

Ein Mann mit Sombrero und eine Frau stehen bei Dämmerung an einer felsigen Küste, zwischen ihnen zwei Esel
Nicht umkippen im Sand!

An der Ranch angekommen, bekommen wir umgehend zwei Papierbogen ausgehändigt, auf denen wir bitte mit Name und Datum detailliert bewerten sollen, wie wir die einzelnen Aspekte der Führung fanden. Außer „Freundlichkeit der Führerinnen“ können wir uns gerade zu nichts entscheiden. Im Halbdunkel erklärt die eine Französin noch, dass die Ranch auch Programme anbietet, wo man frischgeschlüpfte Schildkrötenbabys ins Meer tragen kann, um sie auf dem Weg über den Sand vor Angriffen von Tieren zu schützen. Dann kriegen wir ein Fläschchen Wasser. Von dem „mexikanischen Snack“, der angekündigt war, ist keine Rede. Dafür sollen wir jetzt ins Office, um die Fotos zu kaufen, die die eine Französin während der Tour gemacht hat. Ein Foto kostet 30 US-Dollar, das ganze Paket 50 US-Dollar. Und wenn man eine zweite Person dazunehmen möchte, 80 US-Dollar. Zusätzlich zum Preis und dem Eintritt in den Nationalpark. „Too much!“ befindet HerrBert und wir einigen uns auf 1000 Pesos, rund 40 Euro. Man werde uns einen Link schicken. „Nein“, protestiert die Reiserin. Airdrop. Jetzt. Wir haben schon ein paar Tage zu lange auf Nachrichten von dieser Ranch gewartet.

Knapp zwei Stunden sind vergangen, auf der Ranch ist es jetzt stockdunkel. Pünktlich steht der Fahrer vor der Tür, um uns zurück in den Ort zu fahren. Fröhlich und, so scheint es uns, irgendwie nichtsahnend, werden wir von den französischen Volontärinnen verabschiedet. Mehrfach betonten sie, dass auf der Ranch auch „zwei Biologen“ leben. Gesehen haben wir keinen. Den kurzen Hinweis, dass die Organisation der Tour heute mit einigen Schwierigkeiten verbunden gewesen sei, da die zuständige Mitarbeiterin keine Nachrichten beantwortet habe, beantworten die Französinnen mit freundlichem Lächeln und Schulterzucken. Fast erscheint es so, als ob sie deren Namen noch nie gehört haben.
Wo sind die anderen zwölf Esel? Was hat es mit dieser Ranch auf sich, auf der außer uns, zwei Volunteers und der Fahrer niemand zu sehen war, und die zwar großzügig unsere Vorauszahlung nahm, dann aber keine Nachrichten mehr beantwortete? Unser wenig vertrauenserweckender Eindruck, der sich in den letzten Tagen aufbaute, ist durch die Tour nicht verschwunden. Die reizenden Französinnen können bestimmt nichts dafür und die Esel schon mal gar nicht. Mit den Tieren in den Sonnenuntergang zu spazieren, hat uns glücklich gemacht, und wir werden die Erinnerung lange bewahren.

Ein Mann und eine Frau in breitkrempigen Hüten stehen auf einem sandigen Weg an einem Gewässer, zwei Esel fressen am Boden

Noch ein Tag in Mexiko, morgen Nachmittag geht es zurück nach Hause. Wie wir heute fast mehrere Wale beobachtet und auch ziemlich viele Delfine gesehen haben, berichten wir demnächst. HerrBert kratzt sich jetzt erstmal am Kopf, wie er seine Cholla-Kaktusstämme in den Koffer bekommt.

Song des Tages: Jack-Ass von Beck

Wegen dem Aufschrei der geschundenen Eselskreatur am Schluss

Was bisher geschah: hier