Wir fangen unseren zweiten Tag in Kopenhagen auf dem Roten Platz an. Richtig gelesen, auf dem roten Platz von Kopenhagen. Ein roter Stern, ein kyrillischer Schriftzug „Moskauer“ und chinesische Schriftzeichen begrüßen uns von der Straße her. Er ist einer von drei Teilen des „Superkilen“, des offenen Stadtraumes im Stadtteil Nørrebro.

Neben dem roten Platz gibt es noch den schwarzen Markt und den grünen Park. Zusammen sollen sie die 57 verschiedenen kulturellen Hintergründe der Stadtteilbewohner vereinen, die hier leben, so dass es für jeden kulturellen Hintergrund ein Objekt gibt. Bänke aus Brasilien, ein Brunnen aus Marokko und eben der rote Stern symbolisieren die Vielfalt der Menschen, die hier leben. In der Mitte des Platzes sind in einer historischen Fabrikhalle das Gemeindezentrum und die Bibliothek untergebracht. An diesem späten Montagmorgen herrscht hier voller Betrieb. Menschen sitzen über Bücher, andere an Laptops, in der Kinderecke spielen Väter mit ihren Kindern, es gibt ein Bistro mit Essen und Getränken – ein Ort für Menschen. Aus der nächsten Fabrikhalle ist eine Sporthalle gemacht worden. Plakate an den Wänden zeigen aktuelle Kurse an.

Wir fahren mit dem Bus in Richtung Zentrum. Kurz vor dem Nørreport-Platz kommen wir an zwei modernen Markthallen vorbei, den Torvehallerne. Die wollen wir uns unbedingt anschauen. Die Reiserin ist begeistert von einem Fassadenteil, an dem ein riesiger Tentakel zu sehen ist. Innen reiht sich Stände an Stände, Lebensmittel und Speisen aller Art sind geschmack- und liebevoll angerichtet, durch die Glasdächer kommt Tageslicht. Hier ist es schön. Besonders bezaubert sind wir von den überall erhältlichen Brotstullen, auf denen allerhand Auflagen getürmt und mit Grünzeug dekoriert sind. „Das ist das berühmte Smörrebröd“, erklärt Frau Reiserin. „Aha“, sagt HerrBert. Hat er sich schon gedacht. Zu schade, dass wir gerade noch keinen Hunger haben.

Das wird sich bald ändern, weil wir uns jetzt aufmachen, den Rundetaarn, den „Runden Turm“, zu besteigen. Diesen Anbau der Trinitatis-Kirche in der Innenstadt wollten wir schon gestern hinauf – kamen aber leider erst zehn Minuten vor Toresschluss an. Den Turm ließ König Christian IV. im 17. Jahrhundert als Observatorium erbauen. Das Besondere ist, dass im Innern ein gepflasterter, spiralförmiger Gang nach oben führt. „Irgendwie wie im Parkhaus, bloß ohne Autos“, meint HerrBert. Die Warteschlange kommt stoßweise voran. Bald werden wir wissen, dass das ausgeklügelte System dafür verantwortlich ist, mit dem die letzten Meter erklommen werden: Am Ende des Ganges gibt es erst eine kurze Treppe, dann ein enges Treppenhaus mit weiteren Stufen, das zur Aussichtsterrasse auf 36 Metern Höhe führt. Der Hin- beziehungsweise Rückverkehr wird mittels eines Lichtsignals geregelt. Immer fünf Minuten lang können Leute rauf, danach können Leute runter. „Ganz schön ausgeklügelt“, findet HerrBert. Der Andrang ist nämlich groß, die Besucher stehen sich buchstäblich fast auf den Füßen rum. „Ist doch klar“, sagt HerrBert. „Sind ja Osterferien.“

Auch wenn der Himmel über Kopenhagen heute Mittag grau und die Luft so kalt war, dass die Reiserin Lobeshymnen auf sich selbst sang, weil sie im letzten Augenblick entschied, den Wintermantel mit auf die Reise zu nehmen, war die Aussicht erfreulich: Weit reichte der Blick über die Stadt und ihre gleichzeitig geordnete und verwinkelte Struktur, in der deutlich sichtbar ist, dass diese Stadt im frühen Mittelalter geprägt wurde und im 20. Jahrhundert keine Bomben auf sie fielen. Erstaunlich nah wirkten auch ein paar der markanten Gebäude auf dem alten Werftgelände, an dem wir gestern mit dem Hafenbus vorbeifuhren. Gestern kam es uns vor, als wären wir am Rand der Stadt unterwegs – aber nein, wir waren mittendrin.

Nach knapp einer Stunde waren wir wieder unten, und jetzt hatten wir Hunger. Genauer gesagt, hatten wir diesen aufgespart. In der Bude neben dem Runden Turm soll es nämlich die besten dänischen Hotdogs der Stadt geben, wie die Reiserin irgendwo gelesen hatte. Der Auswahlprozess war schon mal beachtlich: Neben der normalen Wurst aus Schweinefleisch sowie einer veganen Variante gab es auch eine Möglichkeit, eine Wurst aus Ziegenfleisch ins Hotdog-Brötchen legen zu lassen. Wir entschieden uns für die Standardvariante, auch wenn sich HerrBert später ein wenig grämte, dass er es nicht mit der Ziege versuchte. Der Hunger wurde gestillt, aber so richtig begeistern konnten die Dinger uns nicht. Die Wurst ein bisschen knackiger, die Gurken ein bisschen frischer, das Brötchen ein bisschen vollkorniger als beim Schwedischen Möbelriesen, aber das war auch schon alles.

Bevor wir mit dem Kulturteil des Tages starteten, musste noch eingekauft werden: HerrBert hatte ein schickes Sommerjäckchen erspäht, dass er nun zu erwerben gedachte. Bei der Gelegenheit wurden in der Shoppingmeile auch noch diverse Souvenirs in unseren Besitz gebracht. Dann rein in den Bus und ein paar Stationen ins Viertel Vesterbro gefahren. Dort wollte die Reiserin das Geburtshaus der Dänischen Schriftstellerin Tove Ditlevsen sehen. Bei dieser 1917 geborenen und 1976 freiwillig aus dem Leben geschiedenen Schriftstellerin handelt es sich um eine am Leben leidende, künstlerisch aber äußerst erfolgreiche und brillante frühe Verfasserin der heute so beliebten Autofiktion.

Bevor wir durch das ehemalige Arbeiterviertel schlenderten, zeigte sich bei HerrBert der erste Anflug eines akuten Launenverfalls. Er war erschöpft und wollte ein bisschen ausruhen. Inzwischen hatten sich Kälte und Wolkendecke verzogen und die Stadt lag in goldenem Frühlingslicht. Also setzten wir uns am Enghave Plads erstmal in die Sonne, gönnten uns ein paar Getränke und beredeten die großen und kleinen Dinge des Lebens. Genau das schienen übrigens auch die ganzen Einheimischen und Anwohner rundherum zu tun. Diese knappe Stunde war an Gemütlichkeit, Entspannung und freundschaftlichem Wohlgefühl mit allen anwesenden Kreaturen nicht mehr zu überbieten. Ist das dieses berühmte dänische „hygge“? Als die Glocke der benachbarten Kristkirken schlug, machten wir uns auf den Weg zum Geburtshaus der Autorin, das ein paar Ecken weiter lag und heute renoviert und natürlich Privatgelände ist. So war nicht viel zu sehen, aber die Reiserin war dennoch zufrieden. Konnte sie auch nicht erklären, war aber so.

Ein wenig stromerten wir jetzt noch durchs abendliche Viertel. Aber die Geschäfte schließen in Kopenhagen früh und so richtig viel war nicht mehr los. Darum nur noch kurz eingekauft und dann zurück in unsere Unterkunft – next level hyggelig.

Song des Tages: Copenhagen von Chris LeDoux
Ein schönes Fundstück aus der Liste von unzähligen Kopenhagen-Songs. Der wilde, wilde Westen fängt gleich hinter Kopenhagen an. Über die Stadt handelt dieses Stück aber wohl eher nicht.
