Ufer eines Sees mit Geländer, im Vordergrund ein Fahrrad und Bäume, im Hintergrund bewaldete Berge unter blauem Himmel

HerrBert ist im norditalienischen Bergamo, einer Stadt unweit von Mailand, von dem wiederum gern behauptet wird, es sei die heimliche Hauptstadt Italiens. Dort in der heimlichen Hauptstadt hatte HerrBert auf der Messe gearbeitet und einen Messestand aufgebaut. Jetzt, in der Zeit der Messe, hat er frei bis zum Ende der Messe, um dann den gerade aufgebauten Stand wieder abzubauen. Das Leben eines Messebauers.

Silhouetten von zwei Personen, die an einem Tisch am Rand eines Sees sitzen, fotografiert durch eine Türöffnung, im Hintergrund bewaldete Berge
Keine Termine und leicht einen sitzen: Das Leben eines Messebauers an den freien Tagen (Symbolbild)

Der Auftraggeber hatte HerrBert und seine Mitbauer für die freien Tage in Bergamo einquartiert, da es dort billiger war als in Mailand. Nach einem Tag in der Altstadt von Bergamo möchte HerrBert nun zum Lago Iseo, der sich unweit von Bergamo befindet. Der Iseosee ist ein etwas kleinerer der oberitalienischen Seen und steht daher ein wenig im Schatten von Garda-, Comer- und Maggioresee. Dafür geht es an seinen Ufern wesentlich entspannter zu als an den großen Nachbarseen, und es ist darumherum weniger überlaufen. Auf dem Lago Iseo installierte Christo im Sommer 2016 die „Floating Piers“ – mit gelben Stoff bespannte, schwimmende Stege. Die Installation war fast drei Kilometer lang, und 1,3 Millionen Menschen konnten in knapp zwei Wochen buchstäblich über Wasser gehen und die kleinen Orte am Rande des Sees in ein unüberschaubares Chaos stürzen. So wurde jedenfalls seinerzeit darüber berichtet.

Blick auf den Lago Iseo mit ruhigem Wasser, umgeben von bewaldeten Bergen unter tiefblauem Himmel mit einigen Wolken
Der Iseosee steht im Schatten der anderen oberitalienischen Seen

HerrBert liest von einer ganz wunderbaren Umrundungsmöglichkeit des Sees mit dem Fahrrad und beschließt, diese in Angriff zu nehmen. Die Route soll meist unmittelbar am Ufer des Sees entlang verlaufen und kommt dadurch ohne viele Höhenmeter aus. Mit ihren rund 65 Kilometern wird sie als ideale Tagestour angepriesen. HerrBert mit seiner frisch erworbenen 6 in seinem Lebenszähler, und mit den Erinnerungen an seine letzte größere Fahrradfahrt vor anderthalb Jahren beschließt, dass er die Umrundung nur mit einem E-Bike in Angriff nehmen möchte. Ein E-Bike Verleih ist schnell ausfindig gemacht und nach einem frühen Frühstück macht er sich am nächsten Tag kurz nach 9 Uhr bei schönstem Sonnenschein auf den Weg zum See.

Zwei Palmen stehen auf einer grasbewachsenen Uferlinie am Lago Iseo, dahinter Wasser und bewaldete Berge unter blauem Himmel
Kurz nach 9 Uhr bei schönstem Sonnenschein: zwei Palmen in Sarnico

In Pilzone, einem kleinen Ort am Ostufer etwas oberhalb von Iseo, der dem See seinen Namen gebende Ort, sind Parkplätze unweit des E-Bike-Verleihs Mitte September kein Problem, und keine zehn Minuten später steht HerrBert behelmt mit einem City-E-Bike abfahrbereit vor dem Laden. Er hätte lieber ein schnittigeres Mountainbike-Modell gewählt, aber die Verleiher winkten ab: Das sei für die Umrundung nicht notwendig, das City-Bike sei geeigneter. Also die Eitelkeit abgelegt und losgeradelt. Die Verleiher, wie auch diverse andere Informationsquellen, empfahlen die Umrundung im Uhrzeigersinn. So fährt HerrBert bis Sarnico die Strecke zurück, auf der er mit dem Auto aus Bergamo hergekommen ist. Mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass er nun unmittelbar am Ufer des Sees entlangfährt.

Eingang mit schmiedeeisernem Tor zu einem Garten mit Pflanzen, links ein gelbes, mediterranes Haus, davor bepflanzte Blumentöpfe, im Hintergrund der Lago Iseo
Prächtige Villa am See

Das E-Bike surrt prächtig. Es düst zwar nicht so ab, wie HerrBert es von einer früheren Tour in Erinnerung hat, aber es tut seinen Dienst und unterstützt ihn fleißig beim Treten in die Pedale. Vom Hafen in Iseo radelt HerrBert durch die kleinen Gassen des Ortes. Es ist immer noch früher Vormittag, Touristen beginnen erst langsam, die Sträßchen zu füllen. Er saust schnell weiter, freut sich an den Ausblicken auf den in der Sonne glitzernden See. Bei Iseo gibt es nah am eigentlichen Gewässer noch eine Art Lagune mit einem Landschaftsschutzgebiet, so dass man auf der einen Seite den See und auf der anderen Seite die am Ufer schilfbewachsene Lagune im Blick hat. Sehr, sehr schön das alles. Der blau blitzende See, der Sonnenschein und der Fahrtwind. HerrBert kommt ein wenig ins Träumen – und Peng de la Peng findet er sich auf dem harten Asphalt der Tatsachen wieder. Eine aufgemalte Linie stellt sich empörenderweise als realer Betonbordstein heraus und versetzt ihn nach Entdeckung dieser Täuschung in allzu hektisches Bremsen und rubbeldibu, schnipp schnapp liegt er auf dem Boden.

Zum Glück trug HerrBert nur ganz leichte Blessuren am Ellbogen und Knie davon und konnte einen vorbeikommenden Rennradler in dessen beobachtender Besorgnis beruhigen, indem er dessen Frage, ob er ok sei, bejahte. Trotzdem ist HerrBert ob des unerwarteten Ereignisses verdattert und muss sich erstmal berappeln. Und auch die nun vorhandene Acht im Vorderrad zur Kenntnis nehmen, welches jetzt prächtig eierte. Ohjeh. Umdrehen und eine halbe Stunde zurückradeln um das Fahrrad zu tauschen? Oder einfach weiterfahren?

Blick auf den Lago Iseo mit blauem Wasser, bewaldeten Bergen im Hintergrund und einem steinernen Uferweg im Vordergrund unter strahlend blauem Himmel
Vier Hölzchen am See

HerrBert entschied sich fürs Weiterfahren. Das Rad surrte nun nicht mehr freudig, sondern machte anklagende Schleifgeräusche. Aber HerrBert ließ sich auf keine Diskussionen mit ihm ein. An einem Halt versuchte er das verbeulte Vorderrad gerade zu biegen, was allerdings nicht sonderlich überzeugend gelang.

Am Wegesrand zeigte sich nun die Riva-Werft. Leider konnte man die Werft, wo die berühmten Boote hergestellt werden, nicht besichtigen. Erst im Nachgang seiner Tour sollte HerrBert von der Existenz einer Art Riva-Museums erfahren, das sich aber an einem anderen Ort am See befindet. Nach einer weiteren halben Stunde überkamen ihn Zweifel. Das Fahrrad schrie: „Was traktierst du mich, hör auf, du Flegel“. Seine Beine fragten: „Wie lange soll das noch weitergehen?“ Fahrrad gefahren – ohne E – waren sie das letzte Mal vor anderthalb Jahren. Zwölf amerikanische Meilen in den Everglades in Florida. Aber doch nicht 65 Kilometer! Das Navi gab an, dass nun ein Drittel des Weges hinter ihm lag und zwei Drittel des Weges noch vor ihm. Was nun? Er sah sich kurz vor Ladenschließzeit des Fahrradverleihs gequält am Seeufer entlanghetzen. Um das zu verhindern, trat HerrBert nun umso entschlossener in die Pedale. Vorwärts.

Eine ganze volle Stunde wollte er jetzt durchfahren. Der Tacho zeigte trotz der Acht im Vorderrad mindestens um die 20 km/h Geschwindigkeit an. Es sollte doch gelingen, die Strecke zu bewältigen, sagte er sich. Der am oberen Ende des Sees befindliche große Monte Isola kam in sein Blickfeld und erste Tunnelfahrten kühlten seine Anstrengungen ein wenig. Kurz vor dem Örtchen Castro kam dann das schönste Stück der Strecke. Die „Orridi di Stallone“ sind als die überhängenden Felsen von Castro bekannt. Die Straße wird dort ganz schmal und windet sich unter den hochaufragenden Felsformationen gerade so durch. Unwillkürlich zieht man den Kopf ein wenig ein, so tief hängen die Felsen herunter.

Straße am Rand eines Sees, darüber steile, überhängende Felsen, im Hintergrund bewaldete Berge unter blauem Himmel
Orridi di Stallone: haben nichts mit Sylvester zu tun

Kurz danach erreichte HerrBert die nördliche Spitze des Iseosees: Lovere, die Metropole dieses Teils des Lago. Hier stellte HerrBert fest: Keine Stunde später hatte sich das Entfernungsverhältnis umgedreht. Nur noch ein Drittel des Weges vor sich und zwei Drittel des Weges hinter sich, atmete er spürbar auf, gönnte sich ein erstes Bier und genoss auf dem zentralen Platz von Lovere mit Tourismus-Info und Schiffsanleger die wunderbare Aussicht.

Ein Glas mit Bier steht auf einem Tisch mit weißer Tischdecke, im Hintergrund verschwommen ein See und Berge
Das erste Bier

Für ein Mittagessen war es HerBert am zentralen Platz aber zu trubelig, und so macht er sich wieder auf den Weg. Aber jetzt deutlich entspannter. Kurze Zeit später, hinter dem Ort Pisogne, trennen sich Straße und Fahrradweg. Die Autos tauchten im Tunnel ab und die Fahrradfahrer befuhren die alte Uferstraße in wunderbarer Ruhe. Skater kamen HerrBert entgegen, man durchuhr kleine Tunnel. Die Welt könnte kaum schöner sein.

So ein schöne Fahrradweg…

In Marone gönnt sich HerrBert dann einen Blick auf den See zusammen mit einem zweiten Bier und einem Wildschweinragout mit Nudeln: ein spätes Mittagessen im Ristorante Alla Galleria. Es ist ein kleines verwunschen wirkendes Gartenlokal mit unzähligen Pflanzen und Blumen und antikem Interieur, dazwischen blitzt immer wieder der blaue Iseosee durch. Genau der Ort, um sich nach den Strapazen zu erholen. Die Beine haben auch einfach aufgehört zu meckern, und so genießt HerrBert die letzte Etappe seiner E-Bike-Rundreise. Und denkt sich, dass er es doch schön hat im Leben. Die Entscheidung fürs E-Bike war genau richtig. Man kommt viel näher ans Ufer, sieht mehr, kann öfter und einfacher anhalten als mit dem Auto, sogar spontan ein Stück zurückfahren, wo es besonders schön ist, man spürt den Wind um die Nase und riecht die Brise vom See. Und der ist jetzt einmal ganz umrundet.

Der Fahrradvermieter sitzt auf der Treppe vor seinem Laden in der Nachmittagssonne als HerrBert angefahren kommt. Das Eiern des Vorderrades scheint ihn nicht zu stören, darüber ist HerrBert heilfroh. Nochmal gutgegangen. Die Tour, das Wetter und überhaupt – ein schöner Tag am See.

Song des Tages: À bicyclette von Yves Montand

Genau so wie HerrBert es früher komisch fand, dass bei den französisch-italienischen Koproduktionen im Film der Franzose Alain Delon den sizilianischen Rocco verkörperte, so rümpfte Frau Reiserin die Nase über den von HerrBert ausgesuchten Song des Franzosen Yves Montand über eine italienische Reise…

Von Herr_Bert