Aufnahme durch einen gelben Bootsrahmen zeigt Flussufer mit Palmen und dichter Vegetation, darüber sitzt ein Vogel auf einer Leitung

Nötig wäre es nicht gewesen, aber Freude hat es gemacht: der zusätzliche Tag in Heroica Mulegé. Die angekündigten Straßenblockaden blieben in Baja California Sur nämlich offenbar aus. Das war für uns im Vorfeld bloß nicht abzuschätzen und wir hielten uns an die Warnung, möglichst heute nicht mehr als nötig Auto zu fahren, um nicht irgendwo hängenzubleiben. Stattdessen gönnten wir uns einen strahlenden Morgen in unserer kleinen Oase am Rio Mulegé und schlurften direkt aus dem Bett kurz ans Wasser vor, um den Tag zu begrüßen. Während die Reiserin danach dieses und jedes im Badezimmer herumhantierte, machte sich HerrBert mit einer Zahnbürste und einem Schälchen Öl an seinen Cholla-Hölzern zu schaffen. Schmerzlich vermisste er dabei ein Stück Schleifpapier, wie er es zuhause arbeitsbedingt quasi in jeder Hosentasche stecken hat. Doch dazu später.

Ufer mit mehreren Palmen und bunten Häusern unter blauem Himmel mit wenigen Wolken
Hier wohnen wir – in der zweiten Reihe

Im schönsten Mittagslicht machten wir uns danach auf den Weg in Richtung Ortskern von Mulegé, der ein paar Fahrminuten flussaufwärts von unserer Oasensiedlung liegt. Diese wiederum befindet sich wohl fest in US-amerikanischer Hand, wie wir anhand diverser Bewohner, die während unserer Morgenrunde in ihrer tragendsten Outdoor Voice in ihren Vorgärten sitzend die Weltlage erörterten, feststellen konnten.

Vor dem Schlendern durch Mulegé wollten wir noch den Aussichtspunkt bei der Misíon Santa Rosalía oberhalb des Ortes besuchen, um auf den Fluß herunterzusehen. 1705 waren jesuitische Missionare hierher gekommen und hinterließen ein paar Jahrzehnte später die Mission auf dem Hügel. Auch die Franziskaner und dann die Dominikaner versuchten ihr Missionierungslück. Die ansässige Urbevölkerung schien sich aber zu wehren, denn bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Missionsstation wieder verlassen. Geblieben ist ein hübsches, aber unfotogenes Gebäude und eine wunderbare Aussicht auf die Flussbiegung.

Ganz in der Nähe, nämlich unter der einzigen Brücke über den Mulegé in dieser Gegend, entdeckten wir zufällig die Anlegestelle der neuesten Attraktion des Ortes: die Trajinera. Diese leuchtend bunt bemalten, flachen, kantigen Holzboote stammen eigentlich aus Mexico-City und wurden schon in prähistorischen Zeiten benutzt. Seit einem Jahr kann man mit ihnen auch über den Rio Mulegé schippern. Meist werden sie als Partyboot gemietet. Als wir aber auf Verdacht zur Anlegestelle gingen, war außer uns, dem Bootsmann und seinem Neffen im Grundschulalter niemand da. Perfecto! Wir einigten uns auf eine einstündige Fahrt bis zu der Stelle flußabwärts, wo der Fluss in das Mar de Cortes mündet, und verzichteten dankend auf die Möglichkeit, unsere eigene Musik via Monsterbox über die Landschaft schmettern zu lassen.

Eingang zu einem Bootsanleger mit bunten Holztoren, Palmen und einem Mann in blauer Mütze und grüner Hose, der auf das Wasser blickt
Sehr fotogen: der Bootsanleger der Trajinera

Stattdessen schipperten wir nur vom Motorbröttern und gelegentlichen Hinweisen des Bootsmannes, dass die Häuser am Ufer meist US-Amerikanern gehören, begleitet über den Fluss und waren glücklich.

Danach bummelten wir durch Mulegé. Der Ort ist mit etwa 4000 Einwohnern wesentlich kleiner als Loreto und es gibt nur wenige Läden, Restaurants und erstaunlich viele Muckibuden. Neben einer stießen wir auf so etwas wie ein blitzblank sortierter Miniaturbaumarkt, woraufhin HerrBert sofort einen Bogen Schleifpapier für seine Kakteen erwarb – für 10 Pesos, das sind kein 50 Cent.

Das gesparte Geld investierte er gleich darauf für eine große Portion knallroter Langustenschwänze im meistempfohlenen Restaurant am Ort. Es heißt Los Equipales und befindet sich im Obergeschoss eines unauffälligen Gebäudes in einer Nebenstraße. Kaum hatten wir es gefunden, wussten wir, wir sind am richtige Ort. Es wird ganz klar auch von den Einheimischen frequentiert, und wir freuten uns über die unaufgeregte Gastfreundschaft, die schicken Stühle und die Lichterketten – und den bezaubernd netten Kellner, der uns jeden Satz spanisch wiederholen ließ.

Am Nebentisch erzählte ein junger, muskelbepackter Amerikaner – ebenfalls in dröhnender Outdoor Voice – einem sehr alten, gleichzeitig gebrechlich und missmutig wirkenden Mann, dass er im Januar wieder Bodybuildingshows in Las Vegas bestreite, bis dahin hier aber soviel esse, wie er könne. Wir erfuhren außerdem, dass er zuhause in L.A. Model gewesen sei, dass er aber jetzt aus spirituellen Gründen in Mexiko wohne, dass er sehr viele Freunde hier habe, darunter auch einer, der eine Regierungslizenz habe, Kühe aus Mexiko in die USA zu verkaufen. Weihnachten verbringe er aber allein, was ihn „fast nicht“ störe. Besonders deprimierend war, dass der Alte überhaupt nicht auf die ganzen Geständnisse reagierte, so dass der Muskelbepackte seine Kommunikationsstrategie des Dauermonologs auf Fragenstellen erweiterte. „Gibt es etwas, das du nicht gerne isst?“, fragte er den Alten unvermittelt und, so schien es der Reiserin, auch etwas verzweifelt. Der Alte dachte nach. „Nicht dass ich wüsste.“ Der Muskulöse nickte aufmunternd. „Das ist eine gute Antwort.“ Längst war die Reiserin von ihrer Annahme abgekommen, dass es sich um Vater und Sohn handelt.

Morgen geht es quer durchs Land an die Pazifikküste und schon wieder in Richtung Süden.

Liebe Grüße und mexikanische Sonnengrooves!

Song des Tages: Guajira Sicodélica von Los Destellos

Wir wissen nichts drüber, aber es gefällt uns.

Was bisher geschah: hier

Sonnenlicht spiegelt auf türkisfarbenem Wasser, im Hintergrund Hügel mit Palmen und vereinzelten Häusern