Ein Astronautenwecker mit einem bunten, leuchtenden Visier und einer digitalen Uhranzeige, die '23:09' zeigt. Der Astronaut steht auf einer kleinen Mondbasis vor dunklem Hintergrund.

Da war er also, der Neue der Frau Reiserin. Freudig erregt nahm sie ein Küchenmesser, um ihn von der ihn einzwängenden und verbergenden Verpackung zu befreien. HerrBert saß mit großen Augen interessiert dabei am Küchentisch, wo sich all diese Aktivitäten abspielten. Dann zog sie ein gut zwanzig Zentimeter hohes Plastikmännchen in Form eines „Kosmonauten“, wie ich ostsozialisisiert sagen würde, was in Westdeutsch die Entsprechung eines „Astronauten“ wäre, aus der Schachtel. Ihren neuen Wecker.

Während ich die eierlegende Wollmilchsau – das Smartphone – als Wecker verwende, rümpfte die Frau Reiserin darüber immer die Nase. Wegen der kosmischen Strahlung liegt ihr Smartphone immer in größtmöglicher Entfernung zum Bett und bis zum Eintreffen des Kosmonauten verwandte sie ein uraltes, der Sendefunktion beraubtes Handy aus den frühen Nullerjahren, um sich den Beginn ihres Tages mitteilen zu lassen. Zu diesem Gerät fehlte jedoch seit einiger Zeit aus unerfindlichen Gründen das Aufladekabel. Mit Tränen erfüllten Augen berichtete sie, dass dieses Kabel nur im Antiquitätenarchiv der technischen Erfindungen für ca. 4734,-€ zu erwerben wäre, und dies ihre Möglichkeiten bei Weitem übersteigen würde. Der Subtext dieser Botschaft lautete jedoch: „Hast Du etwa mein Kabel ungefragt mitgenommen?“ Mildernde Umstände hätte sie gelten lassen, wenn ich stillschweigend das Kabel zurückgelegt hätte.

Dem war aber nicht so, da ich keinerlei Mobilgeräte mit Herstellungsdatum nahe des Jahrtausenwechsels besitze, und demzufolge keinerlei Interesse hatte an einem Kabel für diese. Dies versuchte ich ihr mit meinem besten Dackelblick, den ich als Rottweiler aufsetzen konnte, klarzumachen. Nach der dritten oder vierten Anklage dieserart musste mir aber klar sein, dass es ihr mit dem Weckerkummer ernst war. Dieses stumme Wehklagen an der Klagemauer jedesmal. Doch dann entschloss sich Frau Reiserin mutig, die Zukunft mit beiden Händen zu packen und die elendige Vergangenheit hinter sich zu lassen, sie allemal abzuschütteln und ihr Schicksal eigenhändig zum Guten zu wenden. Sie berichtete HerrBert von einem Traum von einem Wecker, den sie bestellt hatte – und nun endlich war er da.

Frau Reiserin stellte den Plastik-Astronaut mit glänzenden Augen auf den Küchentisch, worauf er sofort umkippte. „Ja“ rief Frau Reiserin aufgeregt, „das stand auch in den Bewertungen, dass er einen schlechten Stand habe!“ Raschelndes Wühlen in der Verpackung brachte aber wenige Augenblicke später eine Standplatte zum Vorschein, deren Oberfläche mondartig gestaltet und mit Öffnungen für des Plastik-Männchens Mondschuhe versehen war. Den da reingestellt, hatte das neue Objekt der Begierde einen festen Stand und die Erforschung des neuen Unbekannten konnte weiter vonstattengehen.

Wie die Reiserin steht er auf Dolly Parton

Auffällig war der Helm mit dem großen Visier aus Acrylglas. Auf dem Rücken, wo weiland Mr. Armstrong bei seinem Mondspaziergang einen Tornister mit allem möglichen Krimskrams trug, waren bei Frau Reiserins neuem Plastic Man eine Vielzahl von Schaltern und Knöpfen. Weitere befanden sich oben und seitlich am Helm. HerrBert schwante, dass eine Extra-Schulung für die Bedienung und den fachgerechten Gebrauch aller Knöpfe und Schalter notwendig sei, da es am Männchen eine Vielzahl von komplexen Tätigkeiten einzustellen und zu koordinieren galt. Weil es die Frau Reiserin vom Tag verabschieden sollte, gab es die Schlummerfunktion. Und weil es die Frau Reiserin auch am folgenden Tag begrüßen sollte, war dementsprechend eine Weckfunktion vorgesehen. Dazu existieren mannigfaltige Licht- und Toneinstellungen. Das Visier des Helmes ist quasi eine Lampe, welche in unzähligen Farben leuchten kann. Bei der Schlummerfunktion müsste das Licht nach und nach dunkler werden und beim Wecken umgekehrt immer heller. Dieses Fähigkeitslevel der 3. Woche einer Intensivschulung hatte Frau Reiserin aber nach einer Stunde angestrengten Lesens der Bedienungsanleitung noch nicht erreicht. Es bestand also die reelle Gefahr, dass uns der Neue mit einem grellen Blitzlicht zur Nacht und ebenso um 4:45 Uhr zur vermeintlichen Aufwachzeit mit lautem Donnern überraschen könnte.

Vor dem Schlummerprogramm putzt auch der kleine Astronaut sich die Zähne

Gefunden hatte Frau Reiserin nämlich die Auswahl der Weck- und Einschlaftöne: Verschiedene Autobahngeräusche für abhängige Berufskraftfahrer, für Bauarbeiter beruhigend eintönige Presslufthammergeräusche, eine Regensimulation in Stärke eines akuten Rohrbruchs, die jedem Installateur feuchte Träume bescheren dürfte. Daneben aber auch synthetisches Vogelgezwitscher, wie man es sich wohl in chinesischen Laboren für den europäischen Teil der Erde vorstellt, das Pfeifen des Windes in besänftigenden Orkanböen sowie tosende Wellen nach Art eines Seebebens. Und ein Gewitter. Frau Reiserin wählte das Gewitter. Es war wirklich schön, sanft und nicht zu laut, wirkte nicht bedrohlich, sondern simulierte nur leichtes Grummeln in der Ferne, etwa ein erfrischendes Sommergewitter im überübernächsten Dorf. Sehr beruhigend. Dazu flackerte das Farbvisier des Plastikastronauten in Rot-und Blautönen, bei denen bei jedem zarten Donnergrollen die Rottöne ein kleines Wetterleuchten andeuteten.

Leider hatte er am Anfang noch nicht die Manieren, sich beim Pinkeln hinzusetzen

Dieses zarte Gewittergrollen mit den sanft aufflackernden Rottönen begleitete uns durch den restlichen Abend. Sonst um diese Zeit hören wir unsere Samstagsabend-Lieblings-Radiosendung mit Tanzmusik, heute aber eben nur das Donnergrollen. Ich kochte Essen, aller Lebensstress und die Hektik fielen ab von mir und ich bekam das Gefühl, nachher durch die Entschleunigung mit dem Kopf auf den Teller fallen zu müssen. Mit großer Anstrengung ließ sich das vermeiden. Auch für die Reiserin verlief der erste Gewitterabend mit dem Kosmonauten harmonisch und besänftigt. Sie verfiel in eine meditative Stille, räumte klaglos den Tisch ab und lächelte abwechselnd den Kosmonauten und mich beseelt an.

Nach zwei Stunden Gewittersound bekam auch der kleine Astronaut Hunger auf Kosmoskost

Mit der frisch errungenen 6 vor den Lebenszahlen ist HerrBert ja nun keiner, der sich bei einem neuen Produkt ekstatisch auf dem Boden wälzt und dabei schreit: „Das ist es! Die Offenbarung! Die Lösung aller Probleme ist eingetroffen!“ Mitnichten. Aber der kleine Plastik-Kosmonaut hat es mir angetan.


Song des Tages: „Kosmoskost“ von IFA Wartburg

Ein schwedisches Duo, das den Sound der DDR Ende der Neunzigerjahre neu interpretierte. Schöner geht’s kaum, findet HerrBert.

Von Herr_Bert