Irgendwie hatte ich mir keine Gedanken gemacht, was uns erwartet, als wir uns an diesem Samstagmorgen relativ früh auf den Weg nach Marzahn zum Braukurs machten.
Ich hatte den Kurs von mir nahestehenden Menschen geburtstäglich geschenkt bekommen und freute mich, diese wiederzusehen. Unser Ziel war die „Hops & Barley“- Brauerei. Irgendwo hinter dem S-Bahnhof Friedrichsfelde-Ost fuhren wir eine unscheinbare Kopfsteinpflasterstraße hinauf, an der dann ein Pfeil anzeigte, dass wir zu der gesuchten Hausnummer nun unter einer kleinen Brücke durchfahren mussten, wodurch sich vor uns eine Art Freiplatz mit alten Gemäuern links und rechts auftat. Es standen Fahrzeuge ohne Nummernschilder herum, aber es gab auch zwei Sonnenschirme und Bierbänke, ein offenes Tor, und auf einem Auto war das Logo von „Hops & Barley“ zu sehen. Hier waren wir also richtig. Eine schöne Mischung aus Lost Place und versteckter Idylle inmitten der Großstadt tat sich uns auf.
Keine Termine und leicht einen sitzen
Sabine, eine der Schenkerinnen, kam uns mit einem Bier in der Hand entgegen, zeigte auf meinen Kaffeebecher und meinte: „Das ist das falsche Getränk für heute“. Dann zitierte sie kurz nach 10 Uhr morgens Harald Juhnke mit seiner Definition von Glück: „Keine Termine und leicht einen sitzen“. Sabine kam mir plötzlich viel verwegener vor, als ich sie in all den Jahren, seit ich sie kenne, eingeschätzt habe.
Die anderen Mädels der Schenkung verfuhren sich bei der Anfahrt mit dem Fahrrad aus dem unweiten Friedrichshain, und mussten von jungen Familien erstmal aus dem Park geleitet werden, bevor sie den Weg fortsetzen und dann doch noch zu uns finden konnten. Dankbar nahmen ihre von der Aufregung gebeutelten Nerven das erste Glas frisch gezapftes Bier entgegen, das Niklas, der heutige Braumeister, uns vom hauseigenen Zapfhahn anbot. Es war das Bier der Gruppe, die ein paar Wochen vor uns gebraut hatte, und das nun lange genug gegärt hatte, um erfrischend zu perlen und köstlich zu schmecken. Nun waren wir vollständig: wir sechs aus „meiner“ Geburtstagsgeschenkbraukursgruppe und zwei weitere Besucher.

Der Kurs begann, indem ich fünf Kilo Malzschrot aus dem Sack in einen großen mit Wasser gefüllten Topf zu schütten hatte. Bei jedem weiteren Handschlag, zu dem uns Niklas in den nächsten Stunden aufforderte, wurde jetzt auf mich verwiesen: „Das musst du machen, es ist schließlich dein Geburtstagsgeschenk“. So rührte ich die Maische um, hob die 30-Liter-Töpfe an, damit Niklas schauen konnte, ob die Flamme noch brannte, hob die 30-Liter-Töpfe wieder an, damit Niklas schauen konnte, ob die Flamme auch wirklich aus war. HerrBert hatte also gut zu tun an diesem Tag.
Verschaukelte Gerste
Mit meinem Malzschrot-ins-Wasser-Schütten war die Maische angesetzt – oder „eingemaischt“, wie Menschen vom Bierfach sagen würden. In unserem Fall 1 Teil Malzschrot auf 4-5 Teile Wasser.
Malz ist, vereinfacht gesagt, Getreide – beim Bier in der Regel Gerste – welchem vorgegaukelt wurde, dass alles schön – nämlich warm und feucht ist – und das daraufhin im Maischetopf zu keimen beginnt. Dieser Prozess wird dann flugs gestoppt, indem durch Hitze dem Getreide das Wasser wieder entzogen wird. Anschließend wird es in der Darre geröstet. Dies geschieht meist in einer Mälzerei. Es gibt unzählige Sorten von Röstungen – ähnlich wie beim Kaffee – und die Brauereien ordern dort das Malz ihrer Wahl. Durch das Mälzen werden die Enzyme geweckt und ein Teil der Stärke des Getreides wird schon in Zucker verwandelt.
Unser Braumeister gibt uns etwas Malz zum Kosten. Wie die Gourmethamster kauen wir auf den Körnern herum, reichen sie weiter mit dem Verweis, dass die dunklen ja eine sehr schöne schokoladige Geschmacksnote haben…
Die Maische in unserem Topf wird mittels kleiner Flamme währenddessen auf 64 Grad Celsius erwärmt und verbringt dann vergnügt 20 Minuten. Die Enzyme nehmen wieder ihre Arbeit auf und wandeln die Stärke des Getreides in vergärbaren Zucker um. Dann wird unser Gebräu auf 72 Grad Celsius erwärmt, und ab jetzt wird die Stärke in – Achtung: unvergärbaren – Zucker verwandelt. Nach zehn Minuten ist damit Schluss, und auch beim Brauen wird nun die Spreu vom Gebräu getrennt und zwar im Läuterbottich.

Dazu gießen wir die Maische in einen anderen Topf, in der sich eine Art große Spiralfeder befindet. Sie wirkt wie ein Filter. Wir öffnen den Hahn und lassen die Flüssigkeit in die Würzepfanne laufen. Im Topf mit der Spiralfeder bleibt die Trebe zurück – ein Abfallprodukt, das entweder an Tiere verfüttert oder zu Brot verarbeitet werden kann. Aus der Maische ist die flüssige Würze entstanden, eine Art süßlicher Sirup, den uns Niklas zum Kosten gibt. Die Würze wird nun zum Kochen gebracht und die Hopfen in Form kleiner, ganz genau abgewogener Pellets dazu gegeben.

Wir sind erstaunt, wie wenig Hopfen dafür benötigt wird – gerade mal der Boden eines kleinen Schüsselchens ist von der abgewogenen Ration bedeckt. Zusammen wir die Mischung eine Stunde lang geköchelt, und das bedeutet eine Stunde Pause für uns.
Hopfen und Malz verloren
Die kleine Brauerei war ursprünglich Teil eines alten Stalles, des sogenannten Magerviehhofs Friedrichsfelde. Vom Tor am Eingang ziehen sich die Räumlichkeiten weit nach hinten. Es gibt viele glänzende, doppelt mannshohe Braukessel aus Edelstahl. Welche fürs Maischen, andere fürs Kochen und dann viele fürs Gären. Die Brauerei versorgt damit ihre eigene Kneipe in Friedrichshain. Die Braukurse sind nur ein kleines Nebengeschäft, bei dem Niklas und ein Kollege ihre Leidenschaft fürs Brauen weitergeben. Niklas hat einfach Spaß an seinem Handwerk, das merkt man bei jedem Schritt, den er uns näher ans eigene Bier heranbringt.

Großzügig dürfen wir auch die Ergebnisse verköstigen – Pils, Helles und Ale sind im Angebot. Niklas öffnet dafür mit dem Zwickelschlüssel den Zwickel – das Probierhähnchen am jeweiligen Kessel – und zapft uns unsere ungefilterten Proberationen. Der Zwickelschlüssel war von alters her nur in der Hand des Braumeisters: Damit er einerseits kosten konnte, und um andererseits der Belegschaft die Möglichkeit zu nehmen, sich ungeniert am Produkt ihrer Arbeit selbst zu bedienen.

Niklas, gelernter Brauer auf der Stufe des Gesellen, versieht uns auch mit den Redewendungen seiner Zunft und deren Bedeutung: Da ist „Hopfen und Malz verloren“ zum Beispiel. In der Zunft des Bierbrauens sind Hopfen und Malz die wichtigsten Zutaten. Bei einem Fehler in der Herstellung sind die Zutaten unwiederbringlich verloren. Man kann den Fehler nicht beheben und die Situation ist ausweglos. Diese Erkenntnis „schlägt dem Fass den Boden aus“ und bezeichnet eine ungeheuerliche Unverschämtheit. So geschehen im 14. Jahrhundert, als Nürnberger Brauer ihr schlecht gewordenes Bier verkaufen wollten, woraufhin Beamte den Boden der Fässer ausschlugen, um dieses Ansinnen der Halunken zu verhindern. Sie wurden zu einem „Fass ohne Boden“, wo alles Bemühen, etwas zu erreichen oder zu befüllen, mit Aussichtslosigkeit geschlagen waren. „Mach mal kein Fass auf“ fordert, um eine Sache nicht zuviel Aufhebens zu machen. Früher musste man ein aufgemachtes Fass nämlich austrinken, wenn man es nicht verderben lassen wollte, weil es keinen Wiederverschluss gab. Da „braut sich was zusammen“ ist zurückzuführen auf den Streit von Wotan mit Frigga: Wenn in der germanischen Götterküche der Göttervater mit der Göttermutter um den Braukessel stritt.
Was lange gärt
Nach einer Stunde des Köchelns, während der wir auf den Bierbänken draußen in der Sonne saßen und uns Laugengebäck schmecken ließen, rief uns Niklas dann wieder zurück zum Brauen. Unser Gebräu musste nun im Kühlschiff abgekühlt werden, damit die Hefe zugegeben werden konnte. Niklas hatte die Hefe-Mischung schon vorbereitet, und alle Beteiligten unserer kleinen Braurunde staunten über die schaumige Masse, die in dem Messbecher fast kein Gewicht zu haben schien.
Mein letzter Geburtstagsgeschenkbierbraukurshandschlag war dann, diese Hefe unserem Bier zuzugeben. Der Einfachheit halber sollte unser Bier obergärig sein. Das bedeutet, dass der Gärprozess in einer Umgebungstemperatur zwischen 15 und 25 Grad Celsius stattfindet und keine Kühlung erfordert. Über eine Air Condition verfügt die Lichtenberger Brauerei nämlich nicht und in den Augusttagen, als wir unseren Kurs absolvierten, war es draußen sommerlich warm. Die Hefe schwimmt bei diesem Prozess oben – deshalb obergärig, während sich untergärige Hefe am Boden absetzt. Untergärige Gärung erfordert kühlere Temperaturen.

Niklas zeigte uns Messprotokolle aus der aktuellen Produktion und versprach, auch die Arbeit der Hefe an „unserem“ Bier in den nächsten Tagen und Wochen zu kontrollieren. Es gibt irgendeinen Richtwert, der gemessen werden kann, und wenn dieser sich nicht mehr signifikant verändert, ist der Gärprozess abgeschlossen. Leider kann sich aber niemand von uns mehr an die Details erinnern. Ob es an dem während des ganzen Kurses großzügig verkosteten Bier liegt? Das Ergebnis unserer Arbeit kann sich dann einer der nächsten Braukurse schmecken lassen. Die Reiserin nennt das „ausgleichende Gerechtigkeit“. Am Jahresende veranstaltet die Belegschaft von „Hops & Barley“ dann noch jeweils ein firmeninternes Braukursbieraustrinken, um die 25-Liter-Töpfe für das neue Jahr wieder leer zu haben.

Hinweis: Der Braukurs wurde von HerrBerts Freunden privat bezahlt. Wir haben keinerlei weitere Verbindungen zu der „Hops & Barley“-Brauerei.
Song des Tages: The Man who loved Beer von Lambchop
Die amerikanische Band um den Sänger Kurt Wagner hat für HerrBert und die Reiserin eine besondere Bedeutung. Dieses melancholische Stück handelt nicht direkt vom Biertrinken, aber vielleicht von den trübsinnigen Gedanken, die manchmal dazu führen. Es stammt vom Album „How I Quit Smoking“ aus dem Jahr 1996.
