Heute, nach fünf Tagen in La Paz, der Hauptstadt des Bundesstaates Baja California Sur – südliches Niederkalifornien – machen wir uns auf den Weg nach Loreto. Zwei Tage später als eigentlich geplant, denn Frau Reiserin hat bekanntermaßen für HerrBert das Schnorcheln mit dem Walhai auf dessen Wunsch gebucht – zum falschen Datum, was aber erstmal von uns beiden unbemerkt blieb. So hatten wir zwei Tage länger in der „Friedlichen“, wie der Name der Stadt übersetzt heißt.
Hätten wir uns anders entschieden, wären wir wahrscheinlich in ein Chaos, Polizeikontrollen und Wirrwar gekommen, denn in dem kleinen, betulichen Fünfzehntausend-Seelen-Ort Loreto sind genau diese zwei Tage vorher sechs Menschen erschossen worden. Drei Steinwürfe von unserem Quartier entfernt.
Baja California Sur gilt, wo immer wir recherchierten, als sicher. Das ist auch bei Loreto, knapp 250 Kilometer Luftlinie nördlich von La Paz, der Fall. Ohnehin behalten wir unsere Sicherheit immer im Blick und Frau Reiserin wird schon nervös, wenn HerrBert nach Einbruch der Dunkelheit woanders als in der Mitte einer beleuchteten Straße unterwegs ist. Auch wenn es nur die drei Schritte bis zum Haus sind.

Und nun machen wir uns also auf den Weg an einen Ort, wo keine 72 Stunden vorher einfach mal so sechs Menschen gewaltsam ums Leben kamen. HerrBert stieß bei der Recherche von möglichen Ausflügen in Loreto zufällig darauf. Nun sind er und Frau Reiserin als Berlin-Bewohner einiges gewohnt und lächeln die Hauptstadtbesucher nur müde an, wenn diese von NoGo-Areas in Neukölln faseln. Und das Quartier in Loreto war schon fest gebucht. HerrBert beschloss darum, der Reiserin erstmal gar nichts davon zu berichten. Eine gewisse Unaufgeregtheit wäre nämlich erstmal das Beste, befand er. Alles andere wird man dann vor Ort sehen, und weiterfahren kann man dann immer noch.
So fuhren wir mittags in La Paz los – nachdem wir noch einen Umweg zu einem Holzhandel im Industriegebiet am Stadtrand gemacht hatten. Und davor noch eine kuriose Kathedrale entdeckten. Auf dem Weg zum Holzhandel kamen wir an einer befahrenen Kreuzung nämlich zufällig an einem gigantischen Kirchenbau mit riesiger Kuppel und leichtem Baustellencharme vorbei. Eine noch im Bau befindliche Wallfahrtskirche namens Santuario Nuestra Señora de Guadalupe.

Nach einer kurzen Besichtigung des kühlen, noch recht schmucklosen Inneren, erwarben wir im angeschlossenen kleinen Geschäft für Betbedarf diverse Amulette und Kerzen. Letztere zündeten wir vor Ort für die Genesung von Freunden und Familiengehörigen an, die gerade mit Schicksalsschlägen und Krankheit zu kämpfen haben. Und für die Erschossenen von Loreto. Das erzählte HerrBert der Reiserin aber erst, als wir in Loreto angekommen waren und er sie von dem Geschehenen in Kenntnis setzte.

Und was hat es mit dem Holzhandel auf sich? Schon seit wir in Mexiko unterwegs sind, bewundert HerrBert eine bestimmte Sorte löchriger Äste, die man überall als Dekoration oder auch als Bestandteil von kunsthandwerklichen Bildern sieht. Die Nachfrage bei einer Händlerin ergab, dass es sich um das getrocknete Holz einer Kaktusart namens „Cholla“ handelt. Daraufhin fertigte HerrBert ein kleines Dokument in seinem Handy mit einem Bild dieser Stämme und der Frage auf Spanisch: Wo kann ich das kaufen? Leider weckt dieses Bild immer und überall nur Schulterzucken. Auch heute, als er es dem OBI-orange gekleideten Angestellten eines Baumarktes in der Innenstadt entgegenhielt, zuckte dieser mit den Achseln und schickte ihn zum besagten Holzhandel weit vor den Toren der Stadt, wo diese sich längst verliert. Erst, als die Suburbs sich schon ausdünnen, sollen wir von der Hauptstraße auf eine Sandstraße ins Nichts abbiegen. Tatsächlich: Zweihundert Meter weiter ragte eine große Halle im Westernstil am Rand der staubigen Straße in den Himmel. Als HerrBert seine vorbereitete, übersetzte Notiz dem dortigen Mitarbeiter wie ein taubstummer Bettler unter die Nase hält, schüttelt dieser nur den Kopf.

Jetzt aber nach Loreto – keine Ausflüchte mehr.
Wir haben bis jetzt die Gewalt in Mexiko verdrängt. Nicht das wir sie unmittelbar erlebt hätten. Sie schwebte uns nur durch die zahlreichen Pick-Ups mit maskierten Polizisten an fest auf dem Auto installierten MGs vor Augen. Gleich ob in Cabo San Lucas, San José del Cabo oder La Paz, die Uniformierten sind allgegenwärtig. Bei der Demonstration, die wir von unserem Balkon aus sahen, ging es um einen Bürgermeister, der sich gegen Gewalt und Korruption einsetzte und der deshalb ermordet wurde. Die Mexikanerinnen und Mexikaner, die in einem langen Zug durch die Straßen zogen, sind die Spirale aus Korruption und Gewalt in ihrem Land leid.

Auf dem mexikanischen Highway Nr. 1 fuhren wir dann knapp vier Stunden Richtung Nordwesten quer über die Halbinsel. Nach einer Weile waren wir etwas zermürbt von der eintönigen, leicht hügeligen Landschaft, die neben kargen Büschen nur imposanten Kakteen und unfotogene Überlandmasten für Stromkabel bot. Vom Mar de Cortez fuhren wir ins Landesinnere, bis wir in Sichtweite des Pazifik kamen, um dann gleich wieder abzubiegen in Richtung Golf von Kalifornien. In der einzigen am Weg liegenden größeren Ortschaft namens Ciudad de Constitution – Stadt der Verfassung – machten wir an einer mexikanischen Variante von Starbucks Halt, um die überraschend sauberen Toiletten aufzusuchen und eben dafür Nachschub in Form von Heißgetränken zu ordern. HerrBert lud dann auch noch die Frau Reiserin zum lang ersehnten Besuch in Waldo1 ein, einem Pendant zum US-amerikanischen 1-Dollar-Store, wo sie immer schöne Funde an nützlichen und farbenfrohen Haushalts- und Dekorationsartikeln macht.

A propos farbenfroh: Wie war es eigentlich gestern, als wir, wie geplant, die Kuh fliegen ließen und uns in dem abgedrehten Rooftop-Restaurant in La Paz einen Tisch mit eigenem Pool reservierten?
Es war famos.
HerrBert fand das Wasser zwar ein wenig zu kalt, aber das kam wohl daher, dass er davor am Nachmittag im Ozean neben einem Walhai geschwommen war. Ein weiterer Herzenswunsch von ihm, der sich gestern erfüllte. Die Reiserin genoss den Pool umso mehr und begeisterte sich an der verschnörkelten Klingel mit der Aufschrift „Press for Champagne“, die am Rand des kleinen Planschbeckens angebracht war. Vom Wasser aus bewunderten wir den an diesem Abend rosafarbenen Sonnenuntergang. Gestern war einer der seltenen, bewölkten Tage in La Paz.

Als wir gerade mit dem Essen fertig waren, fuhr unten ein Auto im Schritttempo, dafür mit ohrenbetäubend hustendem Geräusch durch die Straße in Richtung Meer. Es stieß eine dicke Rauchwolke aus, die sich rasch zu einer gigantischen Rauchfahne erweiterte. Wir befürchteten, dass es kurz vor der Explosion steht. Doch das Auto fuhr weiter in Richtung Malécon und nach kurzer Zeit waren mehrere Straßenzüge buchstäblich in weißem Nebel verborgen. Das Auto fuhr rauchend davon. „Was war das denn?“, fragten wir entgeistert den Kellner. Er lächelte und erklärte: „Fumigación“. Seit ein paar Jahren bekämpft die Regierung von La Paz nämlich die Aedes-Mücke, die das Dengue-Fieber überträgt, mit gezielten Vernebelungsmaßnahmen. Buchstäblich die gesamte Luft über der Stadt wird systematisch mit Mückengift aus Fahrzeugen vernebelt. Tatsächlich haben wir in all den Tagen in La Paz nie eine Mücke oder andere Insekten gesehen.

Und jetzt sind wir gerade eben sind im schönsten Abendlicht durch ein beeindruckendes Gebirge gekurvt, das wir überhaupt nicht auf dem Plan hatten. Immer wieder blitzte zwischen den zerklüfteten Gipfeln der Atlantik durch. Als wir wieder Netz hatten, stellten wir fest: Das war die Sierra de la Giganta, ein Gebirgszug im Osten von Baja California Sur.

Nun ist Nacht in Loreto, der Ort hat sich uns bisher friedlich gezeigt und an der Wand des Schlafzimmers grüßen ein Fischrelief und Jesus am Kreuz. Es ist eine wunderschöne Unterkunft, die von einem offenbar sehr dekorationsaffinen Vermieter ausgestattet wurde.
Soviel für heute. Hasta luego!
Song des Tages: folgt morgen
Was bisher geschah: hier
