Grand Canyon mit tief eingeschnittenem, türkisfarbenem Colorado River, der sich durch die mehrschichtigen Felsformationen windet

Früh, vor der hiesigen Acht, HerrBert wird langsam wach, registriert er aus dem vorderen Bereich unseres Wohnmobilschiffes schon emsiges Treiben. Nach seinem gekrächzten Guten Morgen-Gruß schwingt die Tür vom Bad auf, und eine strahlende Frau Reiserin begrüßt ihn gut gelaunt und voller Überschwang: „Es ist gerade acht Uhr und ich bin schon fertig. Die Sonne schickt sich an, die ersten wärmenden Strahlen nach einer kühlen Nacht auf unser Dasein zu verteilen und wir sind am Grand Canyon. Was kann es Schöneres geben?“

HerrBert wundert sich über die frühe gute Laune der Frau Reiserin, und möchte sich im ersten Reflex nochmal tief unter die Decke verkriechen. Aber nix da. Frau Reiserin setzt die Kaffeemaschine in Gang. In Ermangelung von Kaffeefiltern muß ein unbenutztes Geschirrhandtuch als Filter herhalten, und kurze Zeit später hält sie HerrBert eine wohltuend dampfende Tasse unter die Nase.

„Du wolltest doch heute eine E-Bike-Tour entlang der Südkante des Grand Canyon machen“ erinnert sie ihn an seine Pläne. Der kommt nur langsam in die Strümpfe mit seinem Elan und seiner Daseinsfreude. Nach ein paar Broten machen wir uns auf zum nahen General Store, der ein Souvenir-, Campingausrüstungs- und Lebensmittelladen zugleich ist. Dem Straßenbär fehlt es nämlich nicht nur an Kaffeefiltern, sondern auch an Spülmittel. Eingekauft wird jedoch später, denn wir fahren jetzt mit dem auch in diesem Nationalpark regelmäßig verkehrenden, kostenlosen Shuttlebus zum Fahrradverleih.

Erfreulicherweise können wir einfach einsteigen und es sind auch noch Plätze frei. Das ist wohl nicht selbstverständlich, denn als wir am Visitors Center ankommen, in dessen unmittelbarer Nähe sich der Fahrradverleih befindet, sehen wir lange Schlangen von Wartenden, die säuberlich in markierten Warteschlangen auf den Einlass in den Bus warten. „Das sind alle die, die kein Auto dabei haben“, schlussfolgert die Reiserin. Tatsächlich sind viele Stellplätze in unserer Nachbarschaft nicht nur mit Wohnmobilen von mindestens straßenbärgroßen Dimensionen belegt, sondern viele von ihnen haben, um vor Ort besser rumzukommen, noch einen Personenwagen dabei.

Ein erster Blick in den Canyon

Bevor wir uns aufs Rad schwingen, wollen wir jetzt aber erstmal überhaupt den Canyon sehen. Darum sind wir ja hier. Der nächstgelegene Aussichtspunkt heißt Mather Point. Kaum fünf Minuten später stehen wir an einem Metallgeländer. Davor, beziehungsweise darunter liegt ein riesiges, spektakuläres Gelände. Nicht zu glauben, dass Wind, Wetter und der tief unten sich schlängelnde, heute jadegrüne Colorado River hier in Millionen von Jahren Stein um Stein abgetragen haben. Viel mehr sieht es so aus, als ob in der Frühzeit der Erde hier eine durchgeknallte Fee mit lauter Klötzchen und Platten riesige Rondelle und steile Steinstapel aufgeschichtet hätte. Wir schauen in die Weite, sind völlig hingerissen und versuchen die vielen anderen Touristen zu ignorieren, denen es scheinbar genauso geht wie uns.

Jetzt ist auch der HerrBert nicht mehr zu halten. Auf zum Fahrradverleih, und dann strampeln wir los zum Hermits Rest, einem Aussichtspunkt am Ende einer Straße, die direkt an der Südkante der Schlucht entlangführt. Zwar nicht ganz so dicht dran wie der Wanderweg namens „Rim Trail“, der wirklich direkt an der Kante der Schlucht liegt. Die Straße ist immerhin durch ein paar dünne Sträucher davon getrennt, was unserer Höhenangst sehr entgegenkommt. Diese Schlucht ist wirklich tief, und die Wände neben dem Trail fallen senkrecht ab. Immer wieder halten wir an und lassen die spektakuläre Aussicht auf uns wirken. Ein sanfter Wind lässt uns die über 30 Grad gar nicht spüren. Hin und wieder ruft die Reiserin aufgeregt „Bus!“, wenn der Touristenshuttle uns auf der ansonsten leeren Straßen überholen will. Privatautos dürfen hier nicht fahren, darum sind die Shuttles voll. Darum kam HerrBert überhaupt auf die Idee mit dem E-Bike.

Gute Idee: E-Bikes

Nach ungefähr einer halben Stunde erreichen wir den Endpunkt dieser Route. Die einer historischen Mienenarbeiterbehausung nachempfundene Lokalität wurde 1914 erbaut, um die Reisenden auf der hier einst endenden Kutschenstrecke zu verköstigen, heute wirbt man mit Erfrischungen und „Kuriositäten“. Den vielen hier rastenden Shuttle-Fahrgästen nach zu schließen, ist die beliebteste Erfrischung ein Eis am Stiel mit dickem Schokoüberzug. Auch HerrBert wählt ein solches, während die Reiserin sich, Rebellin die sie nun mal ist, für eine Stulle mit Käse entscheidet.

Friedlich mümmelnd lassen wir die Landschaft weiter auf uns wirken und äugen dabei möglichst unauffällig nach den drei älteren Paaren, die sich neben uns ausruhen. Alle drei Frauen tragen lange, unterschiedlich geblümte Kleider und strenge Steckfrisuren mit kleinen, altmodischen Häubchen darüber. Auch die drei Männer scheinen sowohl denselben Friseur als auch dasselbe Brillengeschäft zu nutzen und dazu eine Vorliebe für sehr ähnlich, aber doch individuelle Karohemden sowie bescheidene Multifunktionsschuhe zu haben. „Amishe“ mutmaßt HerrBert. Die Reiserin ist unsicher. „Dürfen Amishe Eis essen?“ Tun unsere Zufallsnachbarn aber, und wir werden nie wissen, was es mit ihrer strengen und doch das Eis offensichtliche geniessenden Ausstrahlung auf sich hat.

Aber die Reiserin kommt dafür einem anderen Rätsel auf die Spur. Auf dem kurzen Fußweg zur gefakten Mienenarbeiterhütte fielen ihr nämlich die vielen Eichhörnchen auf, die die Besucher völlig ignorierend an dunklen Flecken auf dem Boden leckten. „Schokolade!“, sagt sie. Und wie zum Beweis fällt HerrBert ein Stück von der Schokoglasur seines Eises auf den Boden, was sofort ein weiteres Eichhörnchen auf den Plan ruft, das sich daran übertrieben posierlich – und völlig distanzlos direkt neben HerrBerts Schuh zu schaffen macht.

Die Schwester des distanzlosen Eichhörnchens bittet um Nachsicht

Frisch gestärkt nehmen wir die Rückfahrt in Angriff, mit dem E-Bike ein Kinderspiel auch für die Reiserin, die mittlerweile doch leichte Ermüdungserscheinungen und Anfälle von Jetlag zeigt. Auf dem letzten Stück liegt besonders betörender Duft von Nadelbäumen in der Luft und wir kommen an einem Gehege vorbei, in dem mehrere Dutzend Maultiere munter schnauben und grasen. Danach flugs Fahrrad abgegeben, Spüli erworben und dann zurück zum Straßenbär, Abendessen kochen.

Der große Canyon soll das Werk dieses kleinen Flusses sein?

Morgen geht es weiter in Richtung Sedona. Wird die Reiserin auch den nächsten Tag als Campern euphorisch begrüßen? Kriegt der HerrBert auch morgen wieder die Kurve mit unserem Monstertruck? Hier morgen mehr dazu.

Song des Tages: The Call of the Canyon von Gene Autry

Welchen Canyon schmachtet hier Gene Autry in seinem Song aus dem gleichnamigen Film von 1942 an?

Was bisher (und danach) geschah: hier