Eine Person kauert am Ufer eines ruhigen Sees bei Sonnenuntergang. Der Himmel ist in dramatische Gelb- Orange- und Lilatönen gefärbt. Aufnahme im Gegenlicht

Bevor es bald nach Kopenhagen geht, hier eine Reiseerinnerung aus dem noch höheren Norden: Wie wir einmal in Finnland Bären sehen wollten.

HerrBert möchte Bären sehen. Echte Braunbären in freier Natur. Ein Glück, dass wir gerade in Finnland sind. Genauer gesagt im Hossa Nationalpark, gut 700 Kilometer nördlich von Helsinki. Die Landschaft in Finnland besteht aus Wäldern und Seen, die sich wenige Menschen, viele Tiere und extrem viele Mücken teilen, vor allem im Sommer. Jetzt ist gerade Juni 2022 und Hochsommer. Das bedeutet in Finnland auch: Die Sonne geht nachts nicht unter.

Sommer in Finnland heißt: Die Sonne geht nachts nicht ganz unter (23:29 Uhr)

Wir wohnen in einer kleinen Hütte an einem großen See und sind begeistert. Nicht weit entfernt gibt es eine Art Rezeptionshütte des Wildcamps und dort findet HerrBert einen Prospekt, der für die Bärenbeobachtung wirbt. Wir buchen für den nächsten Abend.

Wildnis-Camp im Hossa-Nationalpark

Um 21.30 Uhr sollen wir an der einzigen Straße, die hier durch den Wald führt, an einem bestimmten Parkplatz warten, dort holt uns der Bärenführer ab. Es erscheint ein großer, kräftiger, nach Finnenart schüchterner Mann, der uns freundlich in sein Auto lädt. Außer uns ist noch ein Franzose mit einem imposanten Objektiv dabei. Wir fahren in den Wald und der Bärenführer sagt, er hoffe, dass wir Bären sehen. „Eigentlich kommen sie immer. Aber es ist ja die Natur.“

Auf dem Weg zu den wilden Bären im Hossa-Nationalpark in Finnland

Wir sind zuversichtlich. Das Besondere an dieser Bärennacht ist, dass wir in einem Unterstand ausharren werden, von wo aus man die Tiere fast pelznah sehen können soll. Und zwar, weil der Unterstand so an eine Lichtung gebaut ist, dass die Bären von uns nichts mitbekommen. Die Hütte steht so gegen den Wind, dass sie uns nicht nur nicht sehen und hören, sondern vor allem auch nicht riechen können. Die wilden Bären von Finnland wähnen sich völlig unbeobachtet und kommen ungestört zum Fressen vorbei, so ist der Plan. Nach ungefähr einer Viertelstunde Fahrt halten wir am Waldrand. Eine weitere Viertelstunde schlagen wir uns zwischen einer Art Moor und mehr Wald durch, bis wir schließlich an einer kleinen Hütte im Dickicht ankommen. „Hier wohne ich“, sagt der Bärenmann, und führt uns an seinem Haus vorbei zu einer Art langgezogenem, geschlossenem Unterstand am Rand einer kleinen Waldlichtung. „Keine Angst vor Mücken“, sagt er. „Drinnen ist keine einzige. Ich kenne nämlich einen Trick.“

Und tatsächlich: In dem schlichten Raum können wir die Netzbehänge abnehmen, die man draußen übers Gesicht tragen muss, wenn man nicht komplett zerstochen werden will. An der einen Wand sind zwei mal zwei Doppelstockbetten aufgebaut. Die andere Seite ist bis zur halben Höhe aus Holz und hat über die ganze Länge eine schmale Tischplatte. Darüber ist eine Glasscheibe, die außen verspiegelt ist, so dass der Bär nur Wald und sich selbst sieht, sollte er so nahe kommen. Darunter ist ein breiter Streifen Camouflage-Stoff gespannt, den wir auf Augenhöhe mit einem Reißverschluss öffnen und dadurch ins Freie sehen können. „So sehen wir die Bären, aber sie uns nicht“, sagt der Bärenmann. „Aber wir müssen still sein.“

Die Scheibe ist außen verspiegelt – der Bär kann uns nicht sehen (falls er kommt)

Dann deutet er stolz auf den Trick mit den Mücken: Mehrere Getränkedosen hat er so aufgeschnitten, dass unten ein Teelicht reinpasst. Obendrauf, wo die eigentliche Öffnung der Dose ist, liegen Plättchen mit Antimückengift, die nun vor sich hinschmurgeln und tatsächlich zuverlässig ihren Dienst tun. Keine Mücke weit und breit. Und bisher auch kein Bär. „Jetzt müssen wir warten“, meint der Bärenmann.

Und das meint er ernst. In der ersten Stunde suchen wir mit den Augen aufmerksam und mäuschenstill jeden Zentimeter der Lichtung ab. Hin und wieder rüttelt Frau Reiserin HerrBert aufgeregt am Arm und zeigt irgendwohin. Aber da ist nie ein Bär, sondern der Wind hat nur ein paar Äste bewegt, oder ein paar Vögel stieben über der Lichtung auf. Insgesamt vier solcher Camouflage-Unterstände sind im Halbkreis um die Lichtung aufgestellt, aber nur unserer ist besetzt. Nach ungefähr eineinhalb Stunden ermüdet Frau Reiserins Bärenfreude langsam. Es passiert einfach nichts. Draußen ist es immer noch taghell.

Leider kein Bär zu sehen

Der Bärenmann geht raus und legt ein paar tote Fische auf einen abgesägten Holzstamm mitten in der Lichtung. „Das lockt sie sicher an“. Jetzt macht HerrBert ein langes Gesicht. Er mag generell keine Tricks. Den mit den Mücken fand er ja noch okay. Aber seine Vorstellung von „in freier Wildbahn“ beinhaltet keine ausgelegten Lockfische.

Eine weitere Stunde vergeht, schweigend und zunehmend ernüchtert sitzen wir an der langen Holzplatte und gucken abwechslungsweise stumpf vor uns hin und pflichtschuldig in den Wald. Immer noch nichts. Der Franzose poliert zum x-ten Mal irgendwelche Bestandteile seiner Superduperprofikamera. Frau Reiserin überlegt, ob sie sich vielleicht irgendwo beschweren muss. HerrBert löst schon längst auf seinem Handy Sudoku. Dem Bärenmann ist es sichtlich peinlich. „Vielleicht ist es noch zu hell. Sonst sind sie hier um diese Zeit immer schon da.“ Nach weiteren zehn Minuten steht er auf. „Ich gehe mal zu mir rüber. Vielleicht kommen sie ja noch.“

Na toll, denkt Frau Reiserin. Insgesamt vier Stunden soll das ganze Abenteuer dauern, bis Mitternacht. Gut drei Stunden davon sind ereignislos verstrichen. Enttäuscht guckt der Franzose durch sein Megamonsterobjektiv. Die Reiserin versucht es mit dem Katzentrick. Nicht genau dahin gucken, wo die Katze ist, sondern ein Stück daneben. Dann kommt sie meistens näher. Aber da sind überall nur Bäume und sonnenbeschienenes Laub, hin und wieder fliegen Vögel auf. 23:50 Uhr und strahlender Sonnenschein. In zehn Minuten ist unser Bärenabenteuer offiziell zuende.

Bärensuchbild

Bei den Vögeln ist jetzt doch einiges los, sie zwitschern und fliegen immer wieder auf. Halbherzig guckt die Reiserin an den Waldrand. Da! Die Zweige bewegen sich! Etwas Braunes kommt ins Blickfeld, oder? Jetzt merkt es auch der Franzose, energisch schraubt er an seinem Stativ. Gleichzeitig kommt der Bärenmann wieder in den Unterstand. „Hier! Sie sind da!“, flüstert er und strahlt über das ganze Gesicht. HerrBert pausiert sein Sudoku und sieht es auch: Erst kommen zwei kugelige Bärenjunge auf die Lichtung getapert, stecken die Nase ins Laub und schnüffeln. Dahinter folgt der mächtige, pelzige Leib der Mutterbärin. Der Franzose starrt andächtig in sein Objektiv und knipst ohne Ende. Frau Reiserin würde am liebsten vor Begeisterung aufspringen, hält sich aber im Zaum. HerrBert guckt immer noch ein bisschen skeptisch, weil die Bärenmutter ziemlich zielstrebig und scheinbar wenig überrascht zu dem bereitgelegten Lockfisch schlurft und ihn vom Stamm herunterzieht. Aber ein imposantes Tier ist sie, das muss er zugeben, und auch die kleinen Bärchen entlocken ihm ein Lächeln. Der Bärenmann ist so außer sich vor Erleichterung, wie es ein zurückhaltender Finne sein kann. „Na also“, murmelt er. „Hab schon befürchtet, das wird heute nichts.“

Na endlich, dachte schon, du kommst nicht mehr…

Wir dürfen natürlich bleiben, so lange die Bären auf der Lichtung sind. Gut eine Viertelstunde spazieren sie vielleicht sieben Meter vor uns herum und der Franzose hat bestimmt schon eine vierstellige Anzahl von Fotos geschossen. Dann trollen sich die Bären wieder ins Unterholz und wir sprechen wieder im Normalton. „Na also“, sagt der Finne, die Erleichterung immer noch im Gesicht. „Hoffentlich habt ihr gesehen, was ihr erwartet habt.“ Aber ja. Zu dritt streifen wir zurück zum Auto und der Bärenmann bringt uns zu unserem Parkplatz. Der Franzose hat eine Übernachtung gebucht und wird in seinem Doppelstockbett im Unterstand darauf hoffen, in der Nacht und am Morgen noch weitere Bären zu sehen.

Zurück im Camp gönnen wir uns vor unserer Hütte um kurz nach eins ein Feierabendbier. Noch immer ist es fast taghell und die Mücken tanzen. Durch den Netzbehang ist es nicht leicht zu trinken, aber wir kichern und freuen uns: Die Marke heißt „Karhu“ und das bedeutet – Bär. (Juni 2022)

Darauf ein Bärenbier


Song des Tages: Jos Et Sä Soita von Anna Hanski

„Wenn du nicht anrufst“ heißt dieser melancholische finnische Popsong von 1992. Ein Lieblingsstück von Frau Reiserin. Ein bisschen versetzt hat sie sich auch von dem Bären gefühlt, als der einfach nicht auftauchte.

Eine weitere Erinnerung aus Finnland gibt es hier.