Kurz nach unserem Start in Arusha hatten wir gleich die erste Panne. Mit einem kräftigen Rrrrummms streifte unser Auto einen Steinbrocken am Wegesrand und der Reifen verabschiedete sich. Die Reiserin begann sofort zu hyperventilieren. HerrBert ließ die Situation erstmal auf sich wirken – und unser Tourguide machte sich gelassen und ohne jegliche Spur von beschleunigtem Puls ans Werk: das Auto an die Böschung gelenkt, unsere sorgfältig im Tetris-System in den Kofferraum gestapelten Koffer und Taschen ausgeladen und ins Gras geschichtet, mit einem kräftigen Ruck den Wagenheber von der Rückseite des Wagens gezogen und dann den Reifen wechseln. „Passiert hier ständig“, sagte er. „Kein Problem. Wir haben ja einen Ersatzreifen.“ Okay, alles klar. Aber was, wenn der auch wieder kaputtgeht? Wir sind schließlich gerade mal 20 Minuten gefahren. Und unsere Safari sollte vier Tage dauern.

Aber da der Guide weiterhin gelassen am Reifen herumschraubte und HerrBert ihm entspannt assistierte, verkniff sich Frau Reiserin die Frage und betrachtete stattdessen die hübsch karierte, leuchtendrote Decke, die das Gepäck während der bisher kurzen Fahrt bedeckte, und nun als Unterlage für die Koffer im Gras diente.
Es war eine sogenannte „Massai Shuka“, wie wir später lernen würden. Ein typisches Allzwecktextil dieser Volksgruppe. So gut wie jeder Massai, dem wir in Tansania begegneten – die Frauen des Stamms sind in der Öffentlichkeit nicht zu sehen – war in ein solches Tuch gehüllt. Manchmal sahen wir die Shuka im Vorbeifahren auf Sträuchern zum Trocknen ausgelegt, und auch in Touristenshops wurden sie angeboten.
Unser Fahrer und Safariführer Castor hatte den Reifen inzwischen gewechselt. Castor war ein absoluter Glücksfall für uns. Ungefähr 40, gelassen, pragmatisch und sturmerprobt. Seine kleine Firma hatte in ihrem Angebot genau das abgedeckt, was wir angefragt hatten, einen vernünftigen Preis genannt und klare und für uns nachvollziehbare Angaben über Route, Unterkünfte und Ablauf gemacht – und nicht vorher mit uns telefonieren wollen wie die meisten anderen Veranstalter, von denen wir Angebote anfragten. Auch ist seine Firma ausschließlich in tansanischer Hand, was uns wichtig war. Sehr viele Safari-Anbieter in Tansania gehören Deutschen oder Amerikanern und haben nur den vom Gesetz geforderten lokalen Teilhaber pro forma vor Ort. Mehr zur Frage „Wie buche ich eigentlich von Europa aus eine Safari in Tansania“ und andere Tipps in den nächsten Tagen. Castor überzeugte uns schon, bevor wir ihn trafen, und das blieb so bis zum Schluss.
Eine schöne Überraschung war, dass wir ihn und seinen Toyota Land Cruiser für uns allein hatten. Dafür mussten wir nicht extra bezahlen. „Machen wir immer so, ist organisatorisch einfacher“, sagte er.




Schönen guten Tag allerseits…
Das Dach des Allradautos ließ sich hochstellen, so dass wir im Stehen einen perfekten Ausblick hatten: die Nase im Wind, gegen Sonne und herabpeitschende Zweige geschützt. Aussteigen auf freier Strecke ist in den Nationalparks nicht erlaubt – und auch gar nicht nötig. Die Tiere haben gelernt, dass von den kakigrünen, fahrenden Metallwesen, die nur zwischen 6 und 18 Uhr in ihrem Revier unterwegs sind, keine Gefahr ausgeht. Sehr oft zogen Elefanten, Gnus, Affen und Giraffen sehr nah an unserem Auto vorbei und ignorierten uns komplett.
Castor kannte die Serengeti, den Ngorongoro-Krater und den Tarangire-Nationalpark in- und auswendig. Auf unseren Wunsch fuhr er oft so, dass wir ganz allein unterwegs waren. Wenn man hin und wieder irgendwo andere Wagen stehen sah, war klar: Hier sitzt irgendwo ein Löwe im Geäst, geht eine Elefantenherde vorbei, sind Giraffen zu sehen. Dann wurde flugs die Kamera gezückt, der Schnabel gehalten und voller Staunen und Ehrfurcht beobachtet, was die unglaubliche Natur an Kreaturen geschaffen hat und wie sie aus nächster Nähe aussehen.
Ein Highlight: Die Elefantenherde mit vielen Jungtieren, die direkt vor unserem Auto den Weg kreuzte, um auf der anderen Seite in einem Schlammtümpel unter begeistertem Tröten, Schubsen und Prusten ein Schlammbad zu nehmen, bei dem sich die Jungtiere auf Elefantenart giggelnd im Schlamm wälzten und sich gegenseitig bespritzten. Bis dann schließlich das Leittier signalisierte, dass jetzt Schluss ist und majestätisch wieder davonschritt, gefolgt von etwa einem Dutzend schlammiger Elefanten in allen Größen.






Samstag ist Badetag
Ein anderes, allerdings krasses Highlight: An einer der wenigen Stellen, wo man querfeldein fahren darf, bretterte Castor mit uns über scheinbar endloses Grasland, als plötzlich von rechts am Horizont eine Gnu-Familie aus Vater, Mutter und Jungtier auftauchte, die nicht weit vor uns unsere Strecke kreuzte und weiter nach links in Richtung Horizont zog. Castor erläuterte, dass Gnus fast ab Geburt sehr schnell laufen können, um im Windschatten ihrer Eltern vor Angreifern geschützt zu sein. Wir bewunderten die graziösen Tiere, als Castor plötzlich „Oh-oh“ sagte, verlangsamte und nach rechts zeigte, wo am Horizont eine Gruppe Geparde aufgetaucht war, die sich rasend schnell näherte. „Die haben das Gnu-Baby gerochen“, sagte Castor. Atemlos verfolgten wir, wie die Geparde immer näher an die Gnus rankamen. Schließlich stoppten wir bei einem Baum, an dem einige Safari-Autos standen. Castor erfuhr von den anderen Guides, dass die Geparde seit Stunden auf dem Baum geschlafen hatten. Ungefähr dann, als wir kamen, tauchten auch die Gnus auf, und die Geparde setzten sich in Bewegung.


Fressen und gefressen werden…
Live und aus wenigen Metern Distanz sahen wir jetzt, was geschah, als die Geparde das Gnu-Baby eingeholt hatten. Frau Reiserin schaute betreten weg und hielt sich die Ohren zu. Selbst HerrBert musste schlucken. Ziemlich viel Einblick in die Gnadenlosigkeit der Natur auf einmal. Fressen oder gefressen werden. Castor guckte ungerührt, holte aber auch seine Kamera heraus, ein Zeichen, dass auch er beeindruckt war. Verstört nach ihrem Baby rufend, kreisten die beiden Gnu-Eltern um den Schauplatz des Massakers. „Geparde sind die kleinsten Raubkatzen“, erklärte Castor. „Sie fressen ihre Beute sofort, oft ohne sie vorher zu töten, damit ihnen kein anderes Raubtier den Fang abjagt.“ Frau Reiserin setzte sich ins Auto und war auf dem Rest der Fahrt ziemlich still.
Was wir auf dieser Safari sonst noch gelernt haben: Von Löwen lernen heißt Liegen lernen




Von Löwen lernen heißt Liegen lernen
Song des Tages: The Lion Sleeps Tonight von The Tokens
Am zweiten Tag, im Serengeti-Nationalpark, riefen sich die Tourguides zu, dass in der Nähe zwei Löwen gesehen wurden. Die Ortsangaben blieben allerdings vage. Kreuz und quer fuhr Castor in dem vermuteten Gebiet herum und forderte uns auf, nach unten ins Gebüsch zu sehen, da die Löwen in der Hitze gerne die kühlen Stellen aufsuchen. Aber als HerrBert am Horizont die erste Löwin entdeckte, lag sie hoch oben auf einem Ast und ließ die Pfoten baumeln. Der dazugehörige Löwenmann fanden wir ein paar Meter weiter an einem Flusslauf. Er regte sich auch nicht, als wir bis auf drei Meter heranfuhren. So sahen wir einmal mehr atemlos und aus allernächster Nähe ein wunderschönes und hier frei lebendes Tier. Mit majestätischer Mähne und im Schlaf hechelnd lag der Löwe da und fürchtete keine Feinde. „Na ja“, meinte HerrBert. „Dafür biste ja nun mal auch der König der Tiere“.
