HerrBert kann einiges. Autofahren. Tischlern. Schreiben. Messestände aufbauen. Messestände wieder zerlegen. Wohnungen renovieren. Ein paar Aktien in die Luft werfen und doppelt so viele wieder auffangen – oder umgekehrt. Rudimentär Segeln. Zeitungen vertreiben. Logos entwerfen. Feuer machen. Kochen. Backen. Musik aussuchen. Tanzen. Regale bauen. Und noch vieles mehr.
Aber manchmal, da sehnt er sich zurück in die Zeit, wo das alles noch weit in der Zukunft lag. Wo er ein kleiner Junge war, der mit großen Augen und hellem Herzen in die Welt blickte, die Scheu überwand und hinter der nächsten Ecke schaute, wie es da aussah. Sich über Sonnenstrahlen, ein Eis, ein Tor beim Fußballspiel freute, und, als er älter wurde, Sehnsucht nach der weiten Welt bekam. Der alles, was er von der Welt sehen konnte, begierig aufsaugte und nie aufhörte, wissen zu wollen, was hinter dem Horizont liegt.
Diesem kleinen Jungen begegnet HerrBert heute wieder öfter: auf Reisen, aber auch zuhause. Dann fühlt er wieder, wie es war, als die Welt noch voller Wunder war – und manchmal auch zu groß und überwältigend.
Um diese Momente geht es, wenn HerrBert hier hin und wieder unter der Rubrik „Der kleine HerrBert“ schreibt. Heute übers Kranksein auf Reisen.
Die Wahrheit über die Tage 17 bis 22…
Seit der Übernachtung in der Vintage-Garage in Bakersfield spürte HerrBert, dass er etwas ausbrütete. Wir hatten aufgrund der Lautstärke die Klimaanlage ausgeschaltet, so dass er entsetzlich fror in der Nacht und auch von wilden Alpträumen verfolgt wurde. Zerschlagen und malträtiert startete er in den Morgen, der viele Stunden am Steuer verhieß. Abends kamen wir in Mariposa an und HerrBert warf sich schnurstracks ins Bett.

HerrBert war krank. Ach, was für ein Jammern und Wehklagen – aber alles im Stummen – durchzog in diesen Tagen die amerikanische Weite Kaliforniens. Die Entdeckerlust und der Abenteuergeist verabschiedeten sich, stattdessen nahmen Abgeschlagenheit und Interessenlosigkeit Platz auf HerrBerts Gemüts-Couch. Nach kalten Nächten, in denen ihn auch Frau Reiserin nicht recht zu wärmen vermochte, wachte er zitternd und zerschlagen auf, um etliche Kilometer neuen Zielen entgegenzufahren, aber eigentlich um gar nichts machen zu wollen. Das passte aber nun so gar nicht mit der Reise zusammen. Denn ausgerechnet jetzt war es an der Zeit, den Teil zu erleben, auf den er eigentlich seit dreißig Jahren gewartet hatte: der Besuch im Yosemite Nationalpark.

Die hier gebuchten zwei Nächte im Airstream-Wohnwagen gossen dann nochmal richtig Wasser auf die Mühlen seines Siechtums. Auch hier wurde nachts wegen der extremen Lautstärke der Lüftung hektisch alle Heizungsgebläse ausgeschaltet, um uns dann in ruhigen, aber eindrucksvollen 7°C am nächsten Morgen erwachen zu lassen. Zähneklappernd beobachtete HerrBert, wie Frau Reiserin einen Techniker per Telefon herbeiorderte, der die Vielzahl der Lüftungen neu einstellen sollte. HerrBert schaute wie ein angeschossenes Frettchen, nickte widerstandslos zu allem, was diskutiert und erörtert wurde.
Der Yosemite Nationalpark war prachtvoll – und kalt.
Ihn zu erkunden hätte Elan und Entdeckergeist erfordert. Es war nicht alles offen, einige Straßen zu einigen Sehenswürdigkeiten waren jahreszeitlich bedingt gesperrt. Aber HerrBert hatte weder Entdeckergeist noch Elan, um nach Alternativen zu suchen. Halbwegs froh machte er einen kleinen Wanderweg zu einem Bergsee aus, den sie dann beschritten. Nur um nach 400 Metern an einem Schild zu stehen, dass dieser Weg aufgrund von neu entdeckten Felsspalten komplett geschlossen war. Ungefähr noch eine Stunde, bevor die Dunkelheit sich über den Yosemite legte. Frau Reiserin und HerrBert wichen notgedrungen in das nahe gelegene, historisch wertvolle Ahwahnee Hotel aus. Das bot dann auf den zweiten Blick eine Shining-Atmosphäre, welche zwar eine Wanderung im Yosemite Nationalpark nicht ersetzten konnte, jedoch weitaus mehr war, als das Hotel auf den ersten Blick versprochen hatte. Stanley Kubrick war tatsächlich vor Ort gewesen und hatte die düstere Herumlümmelhalle für „sein“ Shining Hotel – im Film „Outlook Hotel“ genannt – nachbauen lassen. Das fand Frau Reiserin heraus, während sie beide in großen Sesseln an den Fenstern lümmelten, das ferne Knistern des Kamins hörten und andachtsvoll in der Ergriffenheit der stillen Halle auf die Bergwelt hinter den Fenstern schauten – und HerrBert sich wünschte, dass eines der Bänkchen direkt an den riesigen Feuerstellen frei wäre. War es aber nicht. Sie erkundeten noch den imposanten Speisesaal und machten sich dann auf den Heimweg. Frau Reiserin hatte sich nämlich noch ein Cowgirl-Essen an der Feuerstelle des Airstream gewünscht, welches HerrBert in Ermangelung anderer Cowboys dann – immerhin mit ihrer tatkräftige Hilfe – zubereitete.

Die Kälte der Nacht senkte sich über das Tal, als HerrBert an der Feuerstelle die Pfanne schwang. Er wünschte sich im Fieber in das komfortable Zimmer in Mariposa von vor zwei Tagen zurück, erfüllte aber tapfer seine Cowboypflicht. In der Nacht röhrten die Lüftungen des Airstreams wieder in schönster Lautstärke. Zwar hatte der Monteur die oberen Lüftungen abgeschaltet, dafür dröhnten die Wandlüfter umso mehr, als ob sie den Ausfall der oberen Lüfter kompensieren müssten. Das hatte dauerndes Wachwerden zur Folge, die dunklen Alpträume von Geheimnissen der finsteren Wälder wechselten sich ab mit Träumen von endlos langen Hotelgängen und runterstürzenden Felsen aus sich plötzlich auftuenden Spalten, so dass auch nach dieser Nacht HerrBert zerschlagen und zermürbt, aber froh den Träumen entronnen zu sein, fröstelnd in einen neuen Reisetag erwachte.
Bevor wir uns auf den Weg machten, den Yosemite zu verlassen, wanderten wir noch zu den Sequoias, die dort stehen. Besorgte Nachfragen von Frau Reiserin schüttelte HerrBert ab. Jetzt war er schon mal hier. Jetzt wollte er auch zu den Riesenbäumen hin. Da die kleine Zufahrtsstraße von Oktober bis Mai geschlossen blieb, mussten wir die Strecke zu Fuß zurücklegen. Eigentlich kein schwieriges Unterfangen, aber HerrBert hing weiter in den Seilen. Der an sich bezaubernde Trail ging gemäßigt hoch und runter. Während Frau Reiserin für ihre Verhältnisse forsch voranschritt, schnaufte HerrBert wie eine alte Dampflokomotive und blieb oft stehen, als ob er warten müsste, dass die Heizer neue Kohle nachwerfen. Verkehrte Welt. Es waren die Tabletten, die ihn einigermaßen am Laufen hielten, sowie ein grelloranger Sirup, den er im Wanderbedarfsladen im Yosemite erworben hatte. Es waren nach der Wanderung noch viele Meilen zu fahren.

Kurz vor unserer nächsten Station Monterey beschlossen die Frau Reiserin und HerrBert, einen Essensstopp einzulegen, damit wir nach dem Einchecken im Hotel nicht nochmal losmüssen. Lustlos stocherte HerrBert in seinem Essen, obwohl es eigentlich die erste richtige Mahlzeit des Tages war. HerrBert war krank und blieb es offenbar. In Monterey angekommen, schmiss er sich auf sein frühes Nachtlager, nur um sich kurz darauf wieder aufzuraffen und das Zimmer zu tauschen. Die jetzt zum Abend ruhige Straße, die gefühlt durchs Zimmer führte, versprach Krach und Lärm am frühen Morgen, dem er sich auf dem Krankenlager nicht aussetzen wollte. Fünfzehn Minuten und ein Zusammenpacken mit Kofferschleppen später sank er erneut darnieder, um sofort den Schlaf zu finden, den er suchte. Frau Reiserin drehte den Kamin hoch auf wohlige Wärme, da HerrBert auch heute wieder zitterte wie Espenlaub.
Erst allmählich wurde es besser. In Santa Barbara kehrten die Lebensgeister langsam zurück. In Los Angeles am Flughafen erwarb er zur Sicherheit ein weiteres Fläschchen vom orangen Sirup, da das alte leer war. Um in den zehn Stunden nicht das Flugzeug vollzuhusten, und vielleicht, um etwas schlafen zu können. Ein, zwei Schlucke taten ihre Wirkung. In London beim Zwischenstopp musste er es wieder abgeben – zu groß für den Sicherheitsbeamten.
Die Lebensgeister sind wieder erwacht. Aber HerrBert hat auch ein Souvenir aus Bakersfield dabei: ein hartnäckiger Husten, der zumindest Frau Reiserin sofort seine jeweilige Position verrät, nicht nur innerhalb der Wohnung.
Song der Woche: Salvation von The Limiñanas
Auch wenn es nicht gleich Erlösung sein musste – dass es ihm ein wenig besser gehe, wünschte sich HerrBert in den letzten Tagen der Reise schon…
