Eintrag zum 8. und 9. Januar 2024 – geschrieben am 10. Januar
Las Vegas, 17°C
Die Zeit in Las Vegas vergeht schnell. Schon wieder zwei Tage um. Endlich gab es mal wieder einen Tag zum Ausschlafen. Für den Abend haben wir auf dem Plan, den Neonreklamefriedhof oder „Neon Boneyard“, wie er hier heißt, anzuschauen. Das ist ein Outdoor-Museum etwas abseits vom Strip, wo die ausrangierten Leuchtanzeigen der früheren Casinos und anderer Geschäfte in der Stadt ausgestellt werden. Es ist auch eine Zeitreise ins alte Las Vegas, denn viele Casinos der ersten Generation sind längst abgerissen und durch moderne Ressorts ersetzt. So wird das Aussehen dieser Stadt immer wieder überschrieben. Das Neon-Museum hat zwei verschiedene Eintrittspreise. Einen für den Besuch im Tageslicht, und einen, wenn man nach Sonnenuntergang hingeht. Wir entscheiden uns für den zweiten. Wennschon dennschon.

Doch jetzt, wo es noch hell ist, wollen wir uns Downtown Las Vegas ansehen. Der Stratosphere Tower, der ungefähr aussieht wie der Berliner Fernsehturm ohne Kugel, bildet den Übergang vom Strip zur eigentlichen Innenstadt von Las Vegas. Diese hatte lange im Schatten der Glitzermeile gestanden und war nur noch für vom Spielen ruinierte Durchreisende und dubiose Gestalten, die ihnen noch das allerletzte Geld abluchsen wollte, anziehend.



Gleichzeitig standen hier auch schon immer die alten Wahrzeichen der Stadt: etwa der legendäre, neonbeleuchtete Cowboy namens „Vegas Vic“ am Dach des Pioneer Casinos, sowie die berühmten Hochzeitskapellen. Diese reihen sich allerdings in der Realität am Rand einer trostlosen Straße wie abgenutzte, verblichene Schuhkartons.
Das Herz der Altstadt ist die Fremont Street, wo auch seit jeher der Cowboy leuchtete. In den 1990er Jahren spannte die Stadt ein Dach in Form einer LED-Leinwand darüber und taufte das ganze „Fremont Street Experience“. Seither tummeln sich unter diesem Dach Souvenirgeschäfte, Straßenkünstler und es gibt einige Bühnen für Livemusik. Das Dach ist mit über zwölf Millionen Lichtern bestückt und reicht über die ganze Länge der Straße – fast ein halber Kilometer. Wenn zu jeder vollen Stunde eine grellbunte Licht- und Videoinstallation über die ganze Länge gezeigt und dazu die Straße mit Rockmusik beschallt wird, ist man beeindruckt.

Wenige Blocks weiter geraten wir in den neuesten, interessantesten Teil von Las Vegas: das alternative Downtown. Seit ein paar Jahren gibt es den „Downtown Container Park“. Das ist eine Ansiedlung von Cafés, Boutiquen und Street Art, für die eine Art Dorfplatz mit alten Schiffscontainern aufgebaut wurde. Der Weg dorthin führt an einem Straßenabschnitt vorbei, der neu gestaltet ist, aber absichtlich so aussieht, als sei er immer schon dagewesen: Bars und Saloons mit Vintage-Beleuchtung und blinkenden Lichtreklamen. Hier hat sich eine junge, urbane, alternative Kulturszene angesiedelt, die sich mit den vergnügungswilligen Besucherinnen und Besuchern mischt, denen der Strip zu geleckt ist.
Hier bleibt Frau Reiserin wie angewurzelt vor einem Musikclub namens „Backstage Bar & Billiards“ stehen. „The Meteors“, liest sie auf der Ankündigungstafel. Morgen. Live. „Leben die noch?“ Eine kurze Recherche ergibt: Ja, die alten britischen Psychobilly-Haudegen, die zum Soundtrack ihrer Jugend gehörten, sind gerade auf US-Tour. Und sie spielen hier – morgen Abend. Und natürlich gehen wir hin.

Am nächsten Tag im Auto dann zur Einstimmung Meteors rauf und runter. Energetischer Rockabilly mit Punk- und Hardrockenergie, während draußen die Wüste vorbeizieht, die direkt am Stadtrand von Las Vegas beginnt und, im Gegensatz zu Wüste in Kalifornien, wirklich leer ist. Keine Büsche, nur beiger und roter Stein und am Horizont kahle Bergzüge.
Heute sind wir auf dem Weg zum Hoover Dam. Diese Talsperre, in den 1930er Jahren als Boulder Dam erbaut, ist sozusagen der Grund, warum es Las Vegas überhaupt gibt. Der Damm sollte die ganze Region mit dem gestauten Wasser des Colorado River versorgen. Die Arbeiter sollten in die Wüste kommen, um ihn zu bauen.
Eine Dreiviertelstunde dauert die Fahrt und wir staunen immer mehr: „Wenn sie hier nicht diese irre Stadt aus dem Boden gestampft hätten, sähe es hier überall so aus“, sagt die Reiserin mit Blick auf die melancholisch leer in der blassen Sonne liegende, radikale Einöde. Irgendwann zeigt sich am Horizont dann darin eine dunkelblaue, amorph geformte Fläche. Das ist der Lake Mead, der künstliche Stausee, der durch den Hoover Dam aus dem Colorado River gestaut wird.

Eine gewundene Straße führt uns schließlich auf die Staumauer. Genau in der Hälfte verläuft die Grenze zwischen Nevada und Arizona. Wir fahren einmal kurz rüber und zurück, danach parkt HerrBert das Schiff in einem erstaunlich steilen und verwinkelten Parkhaus des Besucherzentrums, und wir machen uns zu Fuß auf den Weg über dieses Meisterwerk der Ingenieurskunst. Frau Reiserin hat eine unerklärliche Faszination für Staudämme und murmelt ergriffen etwas von „Beweis, dass der Mensch nicht nur zerstören, sondern auch Dinge aufbauen kann.“ Auf der Seeseite des Dammes sieht man die früheren Wassermarkierungen, und was für eine immense Wassermenge hier einst vorhanden war. Heute liegt der Spiegel viele Meter tiefer. Unvorstellbar, dass er sich jemals wieder erhöhen kann. Es regnet hier so gut wie nie. Das macht den verschwenderischen Überfluss in Las Vegas noch gespenstischer.



Wenn wir schon mal hier sind, hat sich HerrBert eine kleine Wanderung gewünscht. In der Nähe des Hoover Dams gibt es einige Canyons, in die man hinabsteigen kann. Die Eingänge sind nicht leicht zu finden. So stapfen wir erstmal weit und mehr oder weniger aufs Geratewohl vom Parkplatz am Rand des Highways über eine Geröllwüste auf einen Berg zu. Dort zeigen Wegweiser auf verschiedenen Routen hinein in die Felswände. Und tatsächlich sind wir kurz darauf in den tiefen Schluchten des White Rock Canyons und arbeiten uns immer weiter hinein. Es ist eine schöne Wanderung durch beeindruckende, schroffe Felsformationen.

Am Abend dann nochmal Szenenwechsel nach Downtown. Die Wartezeit, bis die Tür zum Konzertclub geöffnet wird, vertreiben wir uns beim „Booze Bingo“ in einer der Alternativbars nebenan. Im angenehm abgeschraddelten Club lassen wir uns dann erst von einer sehr energischen Hardcoreband namens Hardyville Stranglers aus Arizona – Duchschnittsalter der Musiker um die 65 – und dann vom legendären Mitbegründer des Psychobilly, P. Paul Fenech – muss jetzt um die 70 sein – zwei Stunden lang die volle Dröhnung geben. Wildes, begeistertes Publikum, Ohren jetzt taub, Stimmung gut.

Dazwischen immer wieder Blick auf die Apokalypse in Los Angeles. Merkwürdige, verwirrende Mischung.
Song des Tages: I ain’t lost (Don’t look for me) von The Meteors
Aus gegebenem Anlass.
