Die US-Flagge weht auf Halbmast an einer Fahnenstange, im Hintergrund Palmen und eine Stadtlandschaft unter klarem, tiefblauem Himmel

Eintrag zu Mittwoch 1. Januar 2025 – geschrieben am 2. Januar

von L.A. nach Palm Springs, 15°C


Der erste Tag des neuen Jahres brachte uns drei touristische Erkenntnisse:

Erstens: Vom oberen Parkplatz des Baumarktes Home Depot am Sunset Boulevard aus hat man tatsächlich eine direkte Sicht auf die Hollywood-Buchstaben. Das hatte uns unsere Guide im Laurel Canyon als Geheimtipp verraten.

Zweitens: Fast Food-Burger sind Fast Food-Burger. Und dann gibt es noch die Fast Food-Burger von In-n-Out Burger. Und die sind was für Gourmets.

Drittens: In den USA herumzureisen und nicht nur die politischen Realitäten hier, sondern auch die alltägliche Situation und die Desaster zuhause für eine Weile nur am Rand mitzuverfolgen, fühlt sich eskapistisch und dekadent an, bringt gelegentlich ein schales Gefühl mit sich.

Hin und wieder fuhren wir gestern an einer Flagge auf Halbmast vorbei, ein Zeichen der Solidarität für den Anschlag in New Orleans. Diese Zeichen konnte man sehen oder übersehen. Amerika macht den Eskapismus leicht, sogar vor seinen eigenen Katastrophen, das ist so gefährlich wie verführerisch, erst recht für uns Touristen.

Aber es funktioniert – und es tut der Seele gut. Amerika eignet sich dafür auf gespenstische Weise. Nennen wir es Maximum Guilty Pleasure.

Da war der Nebel noch nicht ganz verschwunden

Der gestrige, erste Tag des Jahres begann strahlend in Los Angeles. Der Nebel war verschwunden, die Luft war frühlingshaft warm und wir packten unsere Sachen. Denn heute ging es weiter in Richtung Wüste mit Palm Springs als erstem Ziel. Zuerst wollten wir aber noch dem Tipp von Tonya aus dem Laurel Canyon folgen.

Auch am Neujahrstag zeigte Los Angeles Business as usual. Alle größeren Geschäfte hatten offen, allerdings war nicht viel los. Der Parkplatz vor dem Home Depot war fast leer. Lediglich im Einfahrtsbereich sammelte sich etwa ein Dutzend sonnengegerbter Männer, die auf etwas zu warten schienen.

„Handwerkerstrich“, murmelte HerrBert. Er kommt aus der Branche und kennt die Gepflogenheit, dass Arbeitswillige sich an bestimmten Orten treffen, um auf spontane Auftraggeber zu warten. Das sei oft gar nicht unlukrativ, erzählte er. Aber im Land ohne tragfähige Krankenversicherung dürfte es mehr Risiken als Vorteile haben. Männer, die mutmaßlich als Tagelöhner hier warten, haben kaum Schutz dagegen, als billige Arbeitskräfte ausgebeutet zu werden. Sind sie krank oder haben sie einen Unfall, sind sie auf sich allein gestellt.

Wir fahren zum oberen Parkdeck auf dem Dach des Baumarkts. Auch er ist fast leer – und an einem Berghang in der Ferne strahlen deutlich sichtbar die berühmten Buchstaben. Entfesselt springt Frau Reiserin auf die Ladefläche des GMC und fotografiert begeistert.


„Und jetzt?“, fragt sie, als das letzte Bild geschossen ist. „Jetzt fahren wir in die Wüste. Und vorher gehen wir zu In-n-Out.“ Bei einem früheren Aufenthalt lernte HerrBert diese Fast Food-Kette kennen und lieben. Sie hat ein schickes Retro-Logo, das man in Los Angeles häufig sieht. Am Drive-Thru hat sich schon eine lange Schlange gebildet, wir entscheiden, rein zu gehen. „In-n-Out Burger Academy“ steht an einem Nebengebäude. Hier scheint eine Art Hauptsitz zu sein. Innen unterscheidet er sich kaum von den anderen Burgerketten mit kargem, leicht abwischbarem Design und kleinen Tischen mit festgeschraubten Stühlen.

Es ist gut gefüllt und hier gibt man noch seine Bestellung direkt am Schalter auf. Beim Warten auf unsere Burger fällt Frau Reiserins Blick auf einen der in der offenen Küche herumwieselnden Angestellten, der in rasendem Tempo eine Armbewegung wiederholt, wie man sie von Spielern an Einarmigen Banditen kennt. Er steht an einer Gerätschaft, die Kartoffeln mit einem Hebel in Stifte zerkleinert. „Echte Kartoffeln?“, staunt sie.

Und tatsächlich steht auf dem Papiersäckchen, in dem unsere Burger serviert werden, dass hier seit der Gründung der Kette 1948 ausschließlich echte Kartoffeln und vor Ort frisch geschnitten und frittiert werden. Auch die Burgerpatties werden frisch gemacht und nicht aufgetaut. Mit anderem Ambiente wäre das hier fancy handcraftet food. So ist es eine weitere Art Geheimtipp, wenn auch nicht so richtig geheim.

Dann franst die Stadt endgültig aus, die Gebäude werden spärlicher und flacher, die Berge dafür immer höher. Die geschwungenen Trassen der Freeways winden sich wie in einem gigantischen Protonenbeschleuniger umeinander, darauf sausen die Autos, dann liegt die Stadt hinter uns und wir sind bald in der Wüste.

Noch ist sie allerdings noch nicht still und weit. An den Rändern von L.A. stehen riesige Windparks vor den Gebirgsketten.


Die Luft ist klar, kraftvoll strahlt das Wüstenlicht. In Palm Springs gibt es eine Gondelbahn, die in die San Jacinto Mountains auf 2600 Meter Höhe fährt. Das ist unser erstes Ziel. Obwohl wir nicht übermäßig viele Autos sehen, zeigt das Navi schon Teile der Fahrbahn rot an. Voilà: Kurz vor der Talstation stehen wir in unserem nächsten Stau. „Wartezeit 3 Stunden“ sagt ein Schild. Bis dann wird es stockdunkel sein. Wir wenden und vertagen diese Tour auf morgen.

Dafür erreichen wir unsere Unterkunft in strahlendem Sonnenschein. Es ist eine ziemlich ausgeblichene Bungalow-Anlage mit starkem Wes Anderson-Charme. Vor allem aber: mit einem Pool. Sofort werfen wir uns in unsere Badeklamotten. Frau Reiserin legt sich auf die Liege, HerrBert tritt sein persönliches Neujahrsschwimmen an. Auf einer der wenigen besetzten Liegen rülpst ein angetrunkener Mann mittleren Alters in regelmäßigen Abständen und wippt ansonsten mit dem Kopf zu einer Musik, die nur er hören kann.

Nach genau einer Stunde beginnt die Sonne hinter den Bergen unterzugehen, und eine Viertelstunde später kommt es uns völlig absurd vor, am 1. Januar in Badekleidung auf der Liege an einem Pool zu liegen. Im warmen Jacuzzi, der zu der Poolanlage gehört, tummeln sich Teenager und sprechen mit ihren Handys. Für uns beginnt der Neujahrsabend.


In der unübersichtlichen Fülle der umliegenden Restaurants fällt unsere Wahl auf die Blue Coyote Bar & Grill. Eine Mischung aus amerikanischer und mexikanischer Küche. Der für die Festtage dekorierte Gartenbereich wirkt einladend – und dank der vielen Heizpilze angenehm warm. Eine gesellschaftliche Diskussion über den Heizpilz an sich gibt es in den USA unseres Wissens nicht – für uns ist es ein Zacken zu dekadent. Während wir auf den Tisch drinnen warten, lädt uns der Oberkellner ein, uns während der etwa einminütigen Wartezeit im Wartebereich vor der Tür unter eine dafür eingerichtete Wärmelampe zu stellen…

Song des Tages: Hijos Del Sol von den Hermanos Gutiérrez

Wenn Frau Reiserin mal wieder Nervenflattern bekommt, beruhigen sie die stimmungsvollen Stücke der Zürcher Musikerbrüder Gutiérrez immer gleich wieder. Dieses Stück eröffnet auch unsere Wüsten-Playlist, die wir hier morgen posten.