Für unseren gebuchten Spaziergang mit Eseln biegen wir am frühen Nachmittag vom Highway auf eine staubige Sandpiste. Der wettergegerbte Wächter in einer schäbigen Baracke öffnet in Ermangelung einer Schranke eine rostige Eisenkette, als wir ihm „Donkeys“ als Ziel nennen. Drei Stunden später sind wir verdreckt und verschwitzt, aber heilfroh, wieder zurück am Highway zu sein. Ohne einen einzigen Esel gesehen zu haben.
Nachdem wir „Esel Ranch“ sagen, strahlen die beiden Wächter und machen das Thumbs Up-Zeichen. HerrBert lenkt das Auto über eine Viehsperre und wir pröttern über eine breite Sandpiste, genau, wie das Navi sagt. Außer einer ramponierten Limousine und einem Pickup mit völlig demolierter Frontscheibe sehen wir keine anderen Fahrzeuge. Sobald sie im Staub verschwunden sind, halten wir an.
Rechts an der Straße ist nämlich eine Art malerischer Zaun aus drei Lagen Schrottautos aufgebaut, der sich viele hundert Meter hinzieht. Die Autos sind säuberlich aufeinandergestapelt und an vielen rankten sich Bougainvilleas hoch. Auf der anderen Straßenseite stehen riesige, vielarmige Kakteen. Autos kommen jetzt keine mehr, wir befinden uns auf Privatland.



Die Sandpiste wird schmaler und gewundener, ist aber machbar. Dann heißt uns das Navi links in einen schmaleren Weg einbiegen. HerrBert schlägt das Steuer ein und das Auto machte ein schleifendes Geräusch. Auch Frau Reiserin macht ein schleifendes Geräusch. „Lass uns umdrehen, hier kommen wir ohne 4×4 nicht weiter.“ Außerdem müssen wir hier nachher in der Dunkelheit wieder zurück, aber das sagt sie vorsichtshalber gar nicht. Sie sucht schon mal die Nummer der Eselsfarm raus, um sich zu beschweren. Dabei stellt sie fest, dass es hier kein Netz mehr gibt. Auch HerrBert stellt etwas fest: Unser Auto kommt nicht mehr vom Fleck. Immer tiefer graben sich die Vorderräder in den Sand. Wir stecken fest. HerrBert wendet alle Tricks an, und kurz sieht es so aus, als kämen wir raus. Tun wir aber nicht.

So fangen wir an, Steine zu suchen und unter die Räder zu legen, mit den Händen Sand wegzuschaufeln, Holzstücke zusammenzuklauben, um sie unter die Räder zu schieben. Allerdings liegen hier nur dürre Kaktusspacken, die keinen Halt bieten. Irgendwann kommen aus der Ferne Motorgeräusch. Die Reiserin springt auf den Weg und fuchtelt energisch mit den Armen. Zwei junge Mexikaner auf Geländebuggys und ein Touristenpaar. Wir sammeln unsere gesammelten Spanischkenntnisse aus dem Handysprachlernprogramm und bitten die beiden um Hilfe.

Sie gucken skeptisch, zucken die Achseln und beginnen dann, das Auto von vorne anzuschieben, während HerrBert den Rückwärtsgang versucht. Hilft nichts. Die Vorderreifen graben sich immer tiefer. Allgemeine Ratlosigkeit.
Wieder ein Motorengeräusch, dann zeigt sich ein uralter, maximal ramponierter Pickup am Horizont. Die Reiserin springt ihm entgegen und hält dem verständnislos guckenden älteren Mann am Steuer eine weitere Spanischrede mit pantomimischen Einlagen. „Aiudo por favor“. Zusammen mit den beiden Sandbuggyführern diskutieren sie kurz und stellen fest, dass der Mann kein Abschleppseil hat. Er fährt davon. „Er holt seinen Bruder“, sagt der eine Buggyführer. „Der hat bestimmt ein Seil. Wir müssen jetzt leider auch los.“

„Ruhe bewahren“, sagt HerrBert. „Wir haben ja Wasser und Kekse.“ Damit hat er recht. Aber wir haben keine Schaufel, kein Brett, kein Seil, kein Netz und keine Ahnung, was wir jetzt tun sollen. Hier wird uns tagelang niemand finden.
Nach einer Weile sehen wir wieder den Pickup des alten Mannes, gefolgt von einem noch älteren Pickup eines noch älteren Mannes mit einer vollkommen demolierten Windschutzscheibe. Dann sehen wir das Abschleppseil des Bruders, eine ausgebleichte, fransige Strippe ungefähr im Zustand der Windschutzscheibe. Gottergeben legt sich der Bruder unter unser Auto und versuchte, den rostigen Haken an dem brüchigen Band irgendwie an unserem Wagen zu befestigen. Der alte Mann steht mit wenig Begeisterung daneben. Dann weist er HerrBert an, sich wieder ans Steuer zu setzen und den Rückwärtsgang einzulegen. Gleichzeitig tut der abschleppende Bruder dasselbe – und fährt sich selbst fast im Sand fest. Viele Durchgänge später, unser Auto ist noch tiefer im Sand, stellt HerrBert fest, dass der Rückwärtsgang nicht mehr geht. Der Motor ist heißgelaufen und die Elektronik streikt. Also Gang raus. Das geht, doch plötzlich gibt es ein hässliches, krachendes Geräusch. Die Strippe ist gerissen. Die Sonne steht immer tiefer am Horizont, der erste Bruder guckt immer unbegeisterter. Können wir verstehen, was hat er mit den Gringos zu schaffen, die hier ohne Allradantrieb unterwegs sind. Doch der zweite Bruder will nicht aufgeben. Er knotet am Abschleppband herum, längst hat auch die Reiserin sich vor der Motorhaube in Position gebracht und mit vereinten Kräften schieben wir – und halleluja, das Auto kommt raus aus der Sandkuhle.
Bloß, dass wir leider ohne Rückwärtsgang den Weg zurück zum Highway nicht angehen können. Die Reiserin macht Pantomime. Der Bruder zieht uns weiter zu einem kleinen Seitenweg, wo HerrBert drehen kann, so dass wir wieder Nase nach vorne stehen. Der erste Bruder atmet auf. Endlich ist die Show vorbei. Die Reiserin kramt unsere verbliebenen Bargeldbestände hervor und überreicht sie den Brüdern. Viel ist es nicht, vielleicht 50 Euro, aber der zweite Bruder guckt erfreut. Die Reiserin schämt sich. Wir waren völlig hilflos und Fremde, die sicherlich anderes zu tun haben, legten sich für uns ins Zeug – und retteten uns. Gracias!
So vorsichtig wie möglich steuern wir den Highway an, dann wagt HerrBert den Versuch, ob sich der Rückwärtsgang erholt hat. Hat er, gottseidank. Bloß, dass jetzt die Motorleuchte auf dem Armaturenbrett dauerleuchtet. Das Auto, obwohl fabrikneu, hat bloß leider kein Benutzerhandbuch an Bord. Als wieder Netz da ist, findet die Reiserin heraus, dass es sich wohl um keine dringende Alarmstufe handelt, man aber in die Werkstatt soll. Aber nicht heute. Wir wollen nach Hause. Um den Stau und die weiteren Schlaglöcher der normalen Straße nach San José del Cabo zu umgehen, steuert HerrBert die Mautstraße an. Irgendwo hat er mal gelesen, dass diese nur bar zu bezahlen ist, was er beiläufig anmerkt. Zu schade, dass wir unsere gesamte Barschaft gerade den beiden hilfsbereiten Brüdern übergeben haben.

„Vielleicht gibt es an der Mautstelle einen Geldautomaten?“, fragt HerrBert. Modern sieht die Anlage ja aus. Die Reiserin macht sich auf den Weg, die Lage zu checken. „Hahaha“, sagt der wettergegerbte Mann in Signalweste, der an der Mautstelle Wache hält. „Nada tarjeta“, nix mit Karte. Bargeld only. Geldautomat? „Hahahaha“. Auch der junge Mann im Bezahlhäuschen der Gegenseite gibt diese Antwort. Nix zu machen, wir müssen umdrehen.
„Wo willst du hin?“, fragt jetzt der amerikanische Familienvater, der seine Maut gerade bar bezahlt hat. Er sieht ungefähr aus wie der Schauspieler John Goodman und in seinem Auto sitzen eine Frau und ein paar Kinder. In unsere Unterkunft, gibt die Reiserin Auskunft, und sagt, dass wir ein Problem mit dem Auto hatten und all unser Geld den Leuten gaben, die uns halfen. „Ist das wirklich wahr?“, fragt John Goodman streng. Die Reiserin setzt die Sonnenbrille ab und zeigte ihm treuherzig ihre Augen. Ja, wahr.
Der Mann greift in seinem Portemonnaie und reicht der Reiserin zwei Scheine. „Ich gebe dir 100 Pesos.“ Soviel kostet die Maut. Überschwänglich bedankt sich die Reiserin und bietet an, ihm das Geld sofort per Finanzdienst mit dem Handy zu überweisen. John Goodman sieht sie nachdrücklich an und sagt dann langsam und effektvoll: „Mein Name ist Amigo, dabei belassen wir es jetzt.“
Den Rest der Fahrt waren wir still und aufgewühlt. Der Schreck saß uns in den Knochen, denn wenn uns niemand geholfen hätte, wäre der Tag nicht schön verlaufen. Gleich zweimal in wenigen Stunden hatten uns Fremde gerettet. Ohne sie säßen wir irgendwo in der mexikanischen Dunkelheit, mit ein bisschen abgestandenem Wasser und staubigen Keksen. Und jetzt haben wir es doch nochmal zu unserem Quartier geschafft. Morgen müssen wir das Auto verarzten. Aber jetzt ist erstmal alles gut. Gracias buena gente!

Bis morgen!
Song des Tages: Road to Nowhere von den Talking Heads
Die Straße hätte sowieso nicht zu den Eseln geführt – das Navi lag falsch.
Was bisher geschah: hier
