Der Fernseher war neulich ganz schön penetrant. Immer wieder wies er – beziehungsweise der Streamingdienst, der die Filme bringt – darauf hin, dass wir uns doch unbedingt und auf jeden Fall jetzt sofort eine Serie namens „Untamed“ anschauen sollen. Weil, die finden alle echt super und überhaupt haben sie außer uns praktisch schon alle gesehen und sie trendet ganz, ganz weit oben.
„Hm“, sagte die Reiserin. Auch HerrBerts Handy hat ihn schon wiederholt und dringend auf diese Serie hingewiesen. „Da geht es um den El Capitan“, sagte er, ebenfalls etwas zögerlich. Das gab den Ausschlag. Den Capitan kennen wir nämlich. Im Januar sind wir auf unserer Reise durchs winterliche Kalifornien im Yosemite Nationalpark mehrfach an dem imposanten Klotz dieses Namens vorbeigefahren. Er ist 1000 Meter hoch und ein Wahrzeichen des Yosemite Nationalparks. Die nächsten Abende verbrachten wir also vor dem Bildschirm, um uns die hochgelobte Dark Mistery-Serie reinzuziehen. Sie handelt von einem Rangerduo – knurriger alter Hase und pfiffige, zuerst unterschätzte neue Mitarbeiterin – im Nationalpark. Sie werden zusammengespannt, weil zwei Kletterer an just jenem Capitan erleben müssen, dass von der Felskante eine junge Frau gestürzt kommt, die sich in ihrem Seil verfängt und ganz offensichtlich tot ist. Kurz darauf klettert der knurrige Ranger zu der Toten in die Wand und schwingt sich später – inzwischen ist es Nacht – auf sein Pferd, um im Wald unterhalb der Felswand irgendwelche Spuren zu suchen. Im entlegenen Dickicht am Fuß des Bergs kommt er an einem Gebüsch vorbei, in dem ein fast unversehrtes Glasperlenarmbändchen hängt – und natürlich ist es kein Zufall, dass es genau das Armbändchen ist, dass vorhin, als er an der noch in der Wand hängenden Toten gerüttelt hatte, von deren Handgelenk in die Tiefe geplumpst war.

„Na ja“, murmelt HerrBert. „Wie das halt so ist nachts im abwegigen Waldgebiet“ – „Genau“, meinte die Reiserin. „Winzige Glasperlenarmbändchen bleiben gerne gut sichtbar an einem Zweig hängen.“ Damit war der Standard gesetzt, und es folgten noch viele, sehr unglaubwürdig konstruierte Wendungen. „Eine Absurdität jagt die nächste“, meinte HerrBert. Ebenfalls völlig unglaubwürdig waren die Personen, die in der Serie den Park bevölkern. Anders als bei unserem Besuch waren absolut keine Touristen zu sehen. Stattdessen war der Park offenbar Heimat für ein Sammelsurium aus verstrahlten Althippies, somnambulen Drogensüchtigen und dubiosen Gewaltkriminellen, die alle im Dickicht campieren. Und auch ein sarkastischer Native American mit Hang zum Feuerwasser und ein Schwarzer Parkdirektor, der mit allen Mitteln negative Publicity abwehren will, wurden ins Drehbuch geschrieben. Nicht erwähnt wurde hingegen der politisch verursachte Personalmangel, der auch den Yosemite betrifft – oder sonst irgendetwas, das mit dem Amerika der Gegenwart zu tun hat. Natürlich hatte auch die beiden Mitglieder des Rangerduo jeweils ihre dunklen Seiten, die eine Rote-Faden-KI ins Drehbuch eingeflochten zu haben schien, die aber auf uns konstruiert und klischeehaft wirkten.

Das zog uns alles nicht rein. Aber es war, jedenfalls am Anfang, auch nicht schlecht genug, dass wir aufgaben. Vor allem hofften wir, dass noch mehr Bilder von der beeindruckenden Natur im Yosemite gezeigt würden. Aber auch da wurden wir enttäuscht. „Die reiten immer nur im Gebüsch rum“, maulte HerrBert. „Und das Gebüsch sieht überall gleich aus.“ Der Yosemite, wie er in der Serie zu sehen ist, hat eine völlig andere Atmosphäre als der Yosemite, wie wir ihn erlebt haben. Die Reiserin konnte nicht glauben, dass nie das einzigartig bizarre Kirchlein aus dem Yosemite Village zu sehen war, das einen 1A-Schauplatz für jede Art von Düsternis abgegeben hätte.

So guckten wir uns immer lustloser durch die sechs Folgen. Die Serie weckte keinerlei Erinnerungen in uns. Die Handlung bekam immer mehr konstruierte Wendungen, das Ende ließ uns ratlos zurück und auf die Magie des Parks warteten wir vergebens. Die hanebüchene Auflösung der Geschichte war dann unglaubwürdig und unbefriedigend. HerrBert hakte das Thema ab. Aber die Reiserin ließ es nicht los. Woran lag das nur, das der Park überhaupt nicht spürbar war in der Serie? Eine kurze Recherche gab dann die Antwort.
„Untamed“ wurde gar nicht im Yosemite National Park gedreht. Die Dreharbeiten fanden in Kanada und im Studio statt. Außer in ein paar dazwischengeschnittenen Bildern vom El Capitan und dem Bridalveil Fall kam Kaliforniens bekanntester Nationalpark in der Serie überhaupt nicht vor. Die reiten da tatsächlich immer nur durch irgendein belangloses kanadisches Gebüsch.
Ein Rückblick auf unsere Reise durch den echten Yosemite Nationalpark und andere Teile des winterlichen Kaliforniens gibt es hier.



Song des Tages: God’s Gonna Cut You Down von Johnny Cash
Eines der besseren Stücke aus dem Soundtrack von „Untamed“
