Wie die Reiserin einmal durch den Trubel von London streifte und in ein Quäker-Meeting geriet… Erinnerung an eine besondere und schöne Erfahrung im Herbst 2023, erster Teil:
London ist ziemlich laut. Menschen, Autos, Gedrängel. Wenn man große Städte mag, ist es kein unangenehmer Lärm, viel weniger aggressiv als zum Beispiel in Berlin. Die Leute in London reden einfach gerne laut miteinander, und wenn hin und wieder mal ein Jugendlicher im Bus nach Hause seine Lieblingstracks aus dem superleistungsstarken Blootoothbox wummern lässt, scheint es niemanden genug zu stören, um zu meckern. Dazu kommen die Pubs. Schon in der Schule im Englischunterricht habe ich gelernt, dass der Pubbesuch für die meisten Briten zum Feierabend gehört. Und dass sich dort Menschen aller Schichten und Gruppierungen gemeinsam so viele Biere genehmigen und sich brüllend vor Lachen schmutzige Witze erzählen, bis der soziale Frieden wieder für ein paar Stunden länger gesichert ist. Und genauso scheint es zu sein. Nur dass, seitdem in Pubs ein generelles Rauchverbot herrscht, diese Szenen sich in großen Menschentrauben vor den oft wunderschönen, scheinbar alle aus Shakespeares Zeiten stammende Trinkgaststätten abspielen.

„Heut ist ja ganz schön früh Feierabend“, bemerkt HerrBert, als wir an einem Donnerstagnachmittag durch die schmalen Straßen von Covent Garden streifen. Unser Ziel ist die National Portrait Gallery in der Nähe des Leicester Square, aber wir haben Zeit und nehmen es gemütlich mit vielen Umwegen. Bruhahahahahaha dröhnt es vor dem „Garrick Arms“ von einer Gruppe Männern in Anzughosen und gebügelten Hemden, schmalwandige Pint-Gläser in der Hand. Hihihihihihihi kichert direkt daneben ein Trupp hochpreisig blondierter, makellos geschminkter Frauen in Influencersandaletten und Blumenkleidern. Die Aperol Spritz in ihren einwandfrei manikürierten Händen werfen in der strahlenden Herbstsonne orange Lichtreflexe auf ihre schicken Basttaschen. In einem schmalen Sträßchen namens Cecil Court verschwindet HerrBert kurzerhand in einem prachtvollen Antiquariat für historische Comics und allerlei Sammelstücken zum Thema „Alice im Wunderland“. Hehehehehehehe fliegt eine Gelächterwolke vom „The Bear and Staff“ herüber, Bruhahahahahaha wird sie beantwortet. Es ist schön hier. Aber auch überall immer ziemlich laut und voll.

Ich gucke mir die Fassaden an. London ist so prachtvoll, kleinteilig und scheint historisch irgendwie ungebrochen. An einer dunklen Holztür fällt mir ein Schild auf. „drop-in silence“ steht darauf. Komm rein in die Stille. „Wir bringen Frieden, Ruhe und Stille in Londons lebhafte Straßen. Kostenlos für alle, jeden Freitag.“ Dazu hat jemand mit Filzstift auf einem Papierstreifen von Hand ergänzt: „…auf vielfachen Wunsch weitergeführt!“ Eine Touristengruppe schiebt sich aufgeregt schnatternd vorbei. Bruhahahahihihihohoho schallt es vom „The Salisbury Pub“ herüber. Ruhe und Stille, irgendwie spricht mich das grade an. „Komm einfach irgendwann zwischen 17.30 und 19 Uhr rein; bleib sitzen, solange du magst; geh wieder, wann immer du willst“, heißt es auf dem Schild. Und in Großbuchstaben: KEINE PHILOSOPHIE, KEINE RELIGION, KEINE SEELENFÄNGEREI. NUR STILLE, RUHE UND FRIEDEN.
Das trifft sich gut. Meine Philosophie bastle ich gerne selbst, Religion ist mir irgendwie Privatsache und Seelenfängerei braucht ja sowieso niemand. Aber wo ist der Haken? Warum will mir hier jemand an diesem lauten Ort so etwas verführerisches wie Stille bieten, ohne im Gegenzug dafür etwas zu verlangen? Unter dem hellen, modern gestalteten Schild hängt ein zweites, dunkles mit strenger weißer Schrift. „Religious Society of Friends. QUAKER“. Aha. Die Quäker. Wer waren die nochmal?

Mir fallen zuerst nur zwei absurde, unzusammenhängende Dinge ein. Die Abbildung eines Männerkopfes mit einem altertümlichen weißen Hemd, schwerer schwarzer Jacke und einem altmodischen Hut als Logo auf einer Müslipackung. Und eine Szene aus einem Film, den ich mal auf der Berlinale sah. Er hieß „Maggie’s Plan“, in der Hauptrolle spielte Greta Gerwig eine sympathische, etwas schrullige New Yorker Singlefrau, die unbedingt ein Kind will, ohne Mann. In einer Szene ist sie von ihrem Großstadtleben überfordert und sucht Zuflucht in der religiösen Gemeinschaft ihrer Kindheit, und das sind eben die Quäker. Dort sitzt sie schweigend mit einer Gruppe Menschen zusammen und scheint daraus neue Kraft zu schöpfen. Später kommt es noch zu einer Liebeszene in einem sackartigen, altmodischen Nachthemd, das ich irgendwie auch mit den Quäkern verbinde. „Ich glaube, da möchte ich gerne hingehen“, sage ich zu HerrBert, als er wieder aus dem Antiquariat auftaucht. Er hat morgen keine Zeit mehr, weil er schon wieder arbeiten muss. Aber mein Beschluss steht fest.
Und wie war es bei den Quäkern? Das erfährt ihr hier…
Song des Tages: Love me like a man von Bonnie Raitt
Die Rock- und Bluesmusikerin Bonnie Raitt stammt aus einer Quakerfamilie. Dennoch führte sie den klassischen Rock’n’Roll-Lifestyle, bis sie Ende der 1980er mit Drogen und Alkohol aufhörte. Sie sagt über sich, dass sie ihrem Quaker-Hintergrund ihre pazifistische Grundhaltung und ihr Engagement für soziale Gerechtigkeit verdankt. Dieses Stück stammt von 1972.
