Blick auf die Ostsee bei Kühlungsborn mit grünen Sträuchern im Vordergrund und blauem Himmel mit sommerlichen Wolken

Vor der Reise ist nach der Reise, das gilt in diesem Frühjahr ganz bestimmt. Kaum war die Wäsche von unserer Wohnmobilreise durch Arizona getrocknet und der Jetlag halbwegs ausgestanden, wurde schon wieder die Reisetasche gepackt.

Auf dem Plan stand jetzt allerdings das volle Kontrastprogramm zu den letzten Wochen: nämlich vier Tage mit acht Freunden in einem gemieteten Haus an der Ostsee. Genauer gesagt handelt es sich um eine eingeschworene, seit Jahrzehnten bestehende Freundesgruppe aus mehreren Paaren, die regelmäßig zu Himmelfahrt und anderen Gelegenheiten zusammen verreisen, und der HerrBert dermaleinst angehörte. Aus Gründen der Lebensläufe, die immer irgendwie anders als geplant mäandern, nahm er eine ganze Weile nicht an den gemeinsamen Reisen teil. Und das sollte sich nun ändern: Zusammen mit der Reiserin wurde er eingeladen, beim diesjährigen Kurzurlaub in Börgerende an der Ostsee dabeizusein. Ein Haus in Strandnähe wurde gemietet, vier Zimmer, zwei Badezimmer, ein Garten zum Grillen und bitte Fahrräder mitbringen.

Verwitterter Pfahl am Ostseestrand bei Börgerende

HerrBert war glücklich, weil in seiner Brust das Herz eines Gruppentierchens schlägt und er nun endlich wieder die Gelegenheit hatte, mit lieben Menschen, die er für seinen Geschmack zu selten sieht, gemütliche Stunden zu verbringen. Viele gemeinsame Reisen in die ganze Welt und auch in die nähere Umgebung hat man schließlich in den letzten vierzig Jahren schon zusammen unternommen. Zwischendurch war auch der Nachwuchs dabei, doch dieser ist nun flügge, und darum war man als Erwachsene wieder unter sich.

Acht Freunde = sechzehn Füße (nicht alle im Bild)

Die Ausgangslage der Reiserin war ziemlich genau entgegengesetzt: von Natur aus eine Eigenbrötlerin, die ausgewählte Gesellschaft zwar schätzt, die Dynamik von mehr als vier Leuten gleichzeitig aber eher fürchtet, und noch nie aus eigenem Wunsch mit mehr als einer Person gleichzeitig verreiste. Aber durch den gerade absolvierten Urlaub im Wohnmobil, auch das einstmals ein Angstgegner, war sie schon eine ganze Weile außerhalb ihrer Komfortzone unterwegs, und darum in punkto sozialer Herausforderungen gut im Training.

Am Himmelfahrtsmorgen machten wir uns auf in Richtung Rostock. Vier Tage später kamen wir zurück. Dazwischen lagen: Einmal in Windeseile die spektakulär vielfältigen Mengen an mitgebrachten Lebensmitteln, Gewürzen, Getränken und zusätzlichen Spezialküchenhelfern in der Küche verteilt, einmal ebenso zügig alles wieder eingepackt. Einmal gemeinschaftlich harmonisches Kochen und Grillen bis in die frühen Morgenstunden. Drei Mal gemeinschaftliches, ausgiebiges Frühstück inklusive Erörterung der Frage, welche Klamotten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, ins Berghain reingelassen zu werden, was auch das Mitglied der Gruppe nicht beantworten konnte, das als einziges einst mit einem Türsteher des Berghain bekannt war und von diesem am Neujahrsmorgen 2019 gefragt wurde, ob es mit seiner Begleitung vielleicht rein wolle, dieses Angebot aber dankend ablehnte, um stattdessen den Abend gemütlich beim Bier in einer Kneipe ausklingen zu lassen. Dies wurde von allen anderen Gruppenmitgliedern als Gipfel der Coolness und gleichzeitig als absurd unnötige Verweigerung einer kulturellen Erfahrung bezeichnet.

Bitte Fahrräder mitnehmen – Sonnenuntergang bei Heiligendamm

Des Weiteren fanden statt: ein bezaubernder Strandspaziergang von Börgerende durch den hinreißenden Gespensterwald bis Niendorf inklusive gemeinsamen Fischbrötchenverzehrs und ungefähr 278 unvorhergesehenen Stopps, weil irgendjemand Pause brauchte, jemand die Route diskutieren wollte, Durst gestillt, Hunger abgewendet, Fotos gemacht, dieses und jenes ausgiebig erörtert, verglichen und abgehandelt, dabei ausgiebig gekichert und gelacht werden und der weitere Verlauf der Route neuerlich leidenschaftlich, kontrovers, aber immer gutgelaunt abgewogen werden musste. Die Reiserin, fasziniert von den für sie völlig uneinschätzbaren Entscheidungsprozessen in einer derart eingespielten Gruppe, sagte der Einfachheit halber zu allem Ja und Amen, und freute sich über die herzzerreißend schöne Aussicht und über das weite und doch friedliche Meer.

Das weite und doch friedliche Meer an der Seebrücke in Heiligendamm

Ebenfalls zu Buche schlugen eine beglückende Fahrradtour über Heiligendamm nach Kühlungsborn sowie das anschließende Abendessen am wunderschönen Bootshafen mit musikalischer Begleitung eines weißgewandeten Alleinunterhalterduos, das Superhits aus fünf Jahrzehnten darbot und dabei das verhaltene Säuseln der Amigos mit der zur Leidenschaft geballten Faust des frühen Dieter Bohlen so gekonnt zu verbinden wusste, dass bald viele der Anwesenden begeistert auf der Strandpromenade paartanzten. Beschienen von einer camparirot untergehenden Sonne und gekühlt von einer lauen Meeresbrise. Schöner geht es nicht.

Auf dieser Bühne an der Marina von Kühlungsborn spielt gleich eine Mischung aus Amigos und dem frühen Dieter Bohlen

Ergänzt wurde der emotionale Bilderbogen von einem ohrenbetäubenden Großstreit mit gemeinschaftlichem Einanderanbrüllen und Aufwärmen vergangener Konflikte, Türenknallen und Freundschaftaufkündigen. Am Ende war dann aber alles wieder gut.

Es gäbe noch viel zu berichten: von trautem, geschlechtergetrenntem oldschool Champions League-Viewing der Herren im Wohnzimmer bei gleichzeitiger Linedance-Übungsstunde im einzigen Schlafzimmer, das größer als zehn Quadratmeter war, durch die Damen. Vom Treffen mit zwei befreundeten Urlauberinnen in einem von diesen wärmstens empfohlenen Strandlokal in der Nachbarschaft, bei dem infolge einer bizarr überforderten Belegschaft mehrere Gruppenmitglieder mit Bier begossen, andere dafür auf dem Trockenen sitzen gelassen wurden, und beim Bezahlvorgang das gesamte WLAN ausfiel, was zur Mutmaßung führte, dass das Team von Verstehen-Sie-Spaß am Werk sei – aber wir sind ja nicht prominent. Davon, dass alle einander gewogen blieben oder es wieder wurden, und man die Landschaft, das Essen, das Zusammensein, das Meer, den Strand und die geradezu betörend duftende Küstenluft zu den beglückenden Erfahrungen abspeichern wird. In drei Tagen so viel innere und äußere Action wie früher in drei Wochen Ferienlager.

Dreifaltigkeitskirche in Kühlungsborn

Wie es in der Seele der anderen jetzt aussieht, wissen wir nicht. Der HerrBert ist beglückt. Auch die Reiserin freut sich, dass es viel schön und nur wenig stressig war. Aber jetzt braucht sie erstmal ein paar Tage Mentalurlaub in ihrer Komfortzone, wo sie vor sich hin eigenbrötlern kann, bis die Akkus wieder aufgeladen sind.

Auch diese kleine Seejungfrau an der Marina in Kühlungsborn muss erstmal chillen (Künstler unbekannt)

Song des Tages: Texas Sun von Khruangbin

Diese Musik schlug ein Gruppenmitglied als Soundtrack zum gemeinsamen Kochen vor. Sie und ihr Mann hatten die Band in Berlin gesehen und waren begeistert von deren entspanntem, ruhigen Groove, der sich beim Kartoffelschnippeln auch auf uns übertrug. Die Band kommt aus Texas, der Bandname bedeutet „Flugzeug“ auf Thai.