Das Leben in vollen Zügen genießen
Oder: Fahrt mit der Bahn nach Kopenhagen
Samstag, 8 Uhr:
Gleich geht es los nach Kopenhagen! Geputzt und poliert packt die Reiserin die letzten Tübchen und Döschen in den Waschbeutel, rein in den Koffer und schon fast auf dem Weg zum Bahnhof, als das Handy pingt. Bestimmt ein Morgengruß von HerrBert. Der ist schon seit einer Woche in Dänemark, hatte dort Arbeit zu tun.
Es ist dann aber ein Morgengruß von der Deutschen Bahn: Brauchts dich nicht zu beeilen, der Zubringerzug nach Hamburg hat 28 Minuten Verspätung. Schade eigentlich, dass die Umsteigezeit nach Kopenhagen nur 31 Minuten beträgt, und ein paar Gleise dazwischen liegen. Aber was willste machen, nimmste halt den nächsten. Kannst ja mal gucken, ob es in unserem Fahrplan noch eine frühere Fahrt nach Hamburg gibt. Spoiler, lieber Fahrgast: nö. Gäbe zwar einen. Aber der hat 483927 Stunden Verspätung. Da fährste mit dem ersten besser. Ach so, sind jetzt übrigens schon 48 Minuten Verspätung, aber immer noch besser als nüscht. Kannste dir ja überlegen. Und sag jetzt nicht, das hättste nicht erwartet.
So fährt man jetzt durchs öde Brandenburg, lauscht den munteren Gesprächen der Mitreisenden, die sich wohl auch darum fürs Ruheabteil entschieden haben, weil man hier so schön ungestört und richtig ordentlich laut palavern und telefonieren kann, und freut sich wie ein Schnitzel: auf den HerrBert, auf Kopenhagen, über den Cappuccino, den die Zugbegleiterin gerade gebracht hat.

11 Uhr:
Die gute Nachricht: In Hamburg angekommen ist die Bahn aus Berlin schließlich. Leider konnte der Zug nach Kopenhagen aber natürlich nicht warten, da könnte ja jeder kommen. Man solle sich deshalb zur Information begeben, um eine Reservation für den nächsten Zug in zwei Stunden zu bekommen. „Oder eine Hotelübernachtung, falls es keinen Platz mehr gibt.“ Die Züge nach Kopenhagen seien nämlich kurz und äußerst voll. Ein klein wenig beunruhigt das die Reiserin. Es ist gerade mal 11 Uhr vormittags. Da müsste es doch möglich sein, noch vor Anbruch der Dunkelheit an sein Ziel im Nachbarland zu kommen.
Die Reiserin fädelt sich auf Verdacht in einen der dicken Menschenströme ein, die sich langsam in Richtung der einzig funktionierenden Rolltreppe schoben – und hatte Glück: Da, wo die in großer Zahl im Weg herumstehenden Menschen im „Wandelhalle“ genannten Teil des Hamburger Hauptbahnhofes besonders desorientiert, verzweifelt und desolat aussahen, war tatsächlich die Information.
Erstaunlich schnell wurden die Glücklichen, die es zwischen Koffern, Kinderwagen und halben Einbauküchen hindurch bis zum Schalter schafften, abgefertigt. Allerdings nur, indem sie von den stoisch in weinroter DB-Gewandung dasitzenden Mitarbeiterinnen eine Wartenummer ausgehändigt bekamen. Mit dieser konnte man dann, manche kennen das Verfahren vom Amt, bei den Sachbearbeiterinnen hinter dem Raumtrenner vorsprechen. Keine zehn Minuten später hielt die Reiserin eine Ersatzreservation in den Händen, sowie ein vorausgefülltes Fahrgastrechteformular, nach dem sie gar nicht gefragt hatte. Aus purer Lebensfreude erwarb sie im Schmuckgroßhandel gegenüber einen glitzernden Blumenring.

Jetzt waren knapp zwei Stunden ungeplanten Aufenthalts auf dem vorbildlich unwirtlichen Bahnhof zu verbringen. Neugierig rollerte die Reiserin ihr Gepäck herum und entdeckte per Zufall eine Attraktion: In der oberen Etage der Wandelhalle gibt es nämlich eine Aussichtsterrasse mit formidablem Blick auf die historische Bahnhofsarchitektur, sowie auf den Schriftzug eines Elektroherstellers. Scheinbar erfreut sich dieser Winkel mit direktem Blick auf die Gleise großer Beliebtheit bei Reisenden aus nah und fern, die wohl geziehlt herkommen, um Selfies vor dieser Kulisse zu machen. Davon hatte sie noch nichts gewusst. Einziger Wermutstropfen: runter kam man nicht mehr so leicht, denn es gibt, anders als rauf, keine Rolltreppe. Die provisorische Holzverschalung, die den stattdessen vorhandenen Aufzug als „außer Betrieb“ kennzeichnete, wurde dem Augenschein nach noch zur Amtszeit von Gerhard Schröder montiert.
Der Rest der Wartezeit wurde auf dem Bahnsteig verbracht und dazu genutzt, sich über die Do’s und Dont’s der dänischen Mentalität sowie einige wichtige gesellschaftliche Regeln zu informieren:
1. Immer und überall „Danke“ sagen. Da legen die Dänen Wert drauf.
2. Auf keinen Fall mit fremden Menschen Smalltalk anfangen. Das empfinden die Dänen als übergriffig.
3. Aus demselben Grund auf das Grüßen von anonymen Nachbarn im Treppenhaus verzichten. Klingt etwas krass. Sollen wir das nachher in unserem AirBnB ausprobieren? Dieses besteht nämlich aus einer echten Wohnung in einem echten Wohnblock, wo eine echte Bewohnerin Kopenhagens lebt, die nur gerade verreist ist.
P.P.S. Auch wenn es auf dieser Strecke noch die exakt gleichen, uralten, staubigen Eurocity-Wagen sind, mit denen man vor vierzig Jahren mit Interrail durch die Gegend zockelte, gibt es darin starkes, stabiles Internet. Danke!

19.50 Uhr:
Endlich in Kopenhagen angekommen! So ein schöner Bahnhof! So eine schöne Stadt (erster Eindruck)! HerrBert wartet an der U-Bahn, seine Arbeit ist getan. Jetzt erstmal Chillen. So eine schöne Wohnung! So ein schöner Abend! Morgen mehr.
